1744 – 2024

280 Jahre Familie Böhm im Klosterbräu in Bergen

Von der Tafern und Brauerei
zum Sterne-Hotel

Chronik von Dr. Manfred Veit

Kloster Bergen am Schnittpunkt kirchlicher und weltlicher Macht

Aufbruch und Blüte von Kloster und Dorf

Es waren kriegerische Zeiten nach 900. Die Ungarn bedrohten unser Land. Bayernherzog Berthold (reg. 938–947) fiel bei Enns an der Donau im Kampf gegen die anrückenden Magyaren. Seine Witwe Biletrud (Wiltrud), eine Nichte von Kaiser Otto I. (reg. ab 936 als deutscher König, 962–973 als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation), konnte sich wegen Familienstreitig- keiten erst im Jahr 976 auf ihr Witwengut in Bergen zurückziehen. Sie gründete hier inmitten bewaldeter Jurahöhen ein Benediktinerinnenkloster und wurde die erste Äbtissin.

Etwa acht Kilometer im Süden von Bergen lag Neuburg. Die Stadt war ein politisches Machtzentrum mit der bayerischen Herzogspfalz. Etwa 15 Kilometer im Norden war der kirchliche Mittelpunkt des Bistums Eichstätt. Das neu gegründete Kloster Biletruds gehörte und gehört noch heute zum Bistum Eichstätt, weltlich und politisch aber zu den jeweiligen Neuburger Landesherren. Bergen ist heute ein Stadt- teil von Neuburg an der Donau.

Nach dem Tod der Äbtissin Biletrud (um 996) zog Heinrich II. (ab 1002 deutscher König, ab 1014 Kaiser), ein Neffe zweiten Grades,
das Witwengut als Königsgut ein und schenkte 1007 das Kloster Bergen mit allen Ländereien dem von ihm gegründeten Bistum Bamberg. Unter wittelsbachischen Vögten löste sich das Kloster allmählich wieder aus der Zugehörigkeit zu Bamberg. Es gedieh, die wohl ursprüng- lichen Holzbauten wurden nach und nach durch Steingebäude ersetzt. Die erste Weihe der Klosterkirche ist für das Jahr 1095 belegt. Etwa hundert Jahre später erfolgte nach einem Brand erneut eine Kirchenweihe.

Um das Kloster entwickelte sich ein Dorf, das mit allen Bewohnern sowie mit allen Häusern und Höfen dem Kloster gehörte. Gemäß der Devise „Unterm Krummstab ist gut leben“ herrschte Wohlstand. Bauern, Kleinlandwirte (Söldner) und Handwerker arbeiteten für die Nonnen und lebten vom Kloster. Fischer, Jäger, Forstleute und Maurer standen im Brot. Eine Ziegelei produzierte das nötige Baumaterial, eine eigene Kloster- brauerei sorgte für gesunde Getränke. Eine Tafern bewirtete und beherbergte Gäste und auswärtige Handwerker, der Bader sorgte für körperliche Hygiene und führte kleinere medizinische Eingriffe durch. Der Schmied stellte die nötigen Werkzeuge her, beschlug die Zugtiere und armierte die Wagen, eine Mühle an der Schutter verarbeitete das geerntete Getreide.

Kloster und Dorf erlebten in den folgenden Jahrhunderten eine Blütezeit. Bergen war neben dem Benediktinerinnenkloster in Neuburg kultureller und humanistischer Mittelpunkt. Von 1521 bis 1529 war Sabina, die Schwester des Nürnberger Gelehrten und Humanisten Willibald Pirckheimer, Äbtissin in Bergen. Ab 1530 folgte ihr bis 1544 ihre Schwester Euphemia. Zur gleichen Zeit war deren in Eichstätt geborene Schwester Caritas Pirckheimer († 1532) Äbtissin im Clarissenkloster Nürnberg.

Das Kloster und seine Nachfolger als Obereigentümer des Dorfes

Nach der Klostergründung im hohen Mittelalter siedelten sich Menschen um dieses herum an. Da Grund und Boden dem Kloster gehörten, stellten die Nonnen diesen den Siedlern nur zur Verfügung, ohne auch das Eigentum darüber weiterzugeben. Die Siedler waren zwar Besitzer, das Kloster aber blieb Eigentümer. Haus und Hof, Wiesen und Felder wurden den Landwirten und Handwerkern des Dorfes als Lehen vergeben, d. h. nur „geliehen“. Dafür mussten die Lehensnehmer, die als Grundholden oder Hintersassen bezeichnet wurden, Abgaben an das Kloster, welches das „Obereigentum“ innehatte, entrichten. Das waren in der Regel bestimmte Geldleistungen (Zins) und die sogenannte Gült. Letztere umfasste Naturalabgaben in Form von Winter- und Sommergetreide, also Korn, Weizen, dann Gerste und Hafer. Daneben gab es noch eine Vielzahl von kleineren Sonderabgaben wie die Fasnachts- und die Herbsthennen. Beim Ableben des Obereigentümers – hier einer Äbtissin –, wurde von den Grundholden das Laudemium, auch Handlohn genannt, fällig. Das war die Gebühr für die weitere Verleihung des Gutes durch die neue Äbtissin. Beim Tod des Grundholden, beim Verkauf oder Tausch des gesamten Anwesens war bei dem auf Erbrecht verliehenen Besitz – in der Gegend um Neuburg war das seit Ende des 15. Jahrhunderts üblich – der Todfall zu entrichten. Modern würde man hier von Erbschaftssteuer sprechen.
Obereigentümerinnen der Bergener Besitzungen waren bis zur Auflösung des Klosters die Benediktinerinnen. Im Verlauf der von ihm eingeführten Reformation zog Neuburgs Herzog Ottheinrich die Bergener Güter ein. Sein Nachfolger Herzog Wolfgang von Pfalz-Zwei- brücken übertrug dieses „Corpus Bergen“ zur Finanzierung an das Gymnasium Lauingen.

Als Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg ab 1616/17 sein Land „katholisch machte“, verlegte er das Gymnasium von Lauingen in seine Landeshauptstadt Neuburg. Dazu gründete er 1638 ein Seminar zur Unterbrin- gung von Landeskindern, damit diesen eine höhere Schulbildung ermöglicht werden konnte. Beide Einrichtungen, Gymnasium und Seminar, vertraute er den Jesuiten an. Unter Herzog Philipp Wilhelm wurde schließlich 1676 mit päpstlicher Einwilligung der gesamte ehemalige Bergener Klosterkomplex endgültig dem Studienseminar Neuburg einverleibt.

Mit der Auflösung des Jesuitenordens im Jahr 1773 wandelte sich das Seminar in eine kurfürstliche, ab 1806 in eine königliche Stiftung. Einkünfte kamen weiterhin aus Bergen, jeden- falls bis zur „Bauernbefreiung“ im Jahr 1848. Danach verblieben dem Seminar nur noch die Waldungen. Die Abgaben der Landwirte mit Zins und Gült fielen für das Seminar weg. Diese wurden nun als Grund- und Einkommensteuer in Geld an den Staat abgeführt.

Allen diesen Veränderungen im Obereigentum unterlag auch die Tafern in Bergen: Kloster der Benediktinerinnen, evangelische Landesherren bzw. Landesgymnasium Lauingen, Jesuiten und landesherrliches Seminar „Zum Heiligen Kreuz“. Dorthin waren bis 1848 alle Abgaben abzuführen.

Plan von Bergen 1814

Deutlich erkennbar ist die Situation der ehemaligen Klosteranlage mit der mächtigen Kirche auf einer kleinen Anhöhe, auf der vor der Klostergründung vermutlich eine Fliehburg stand.

Klosterauflösung und wirtschaftlicher Niedergang

Kommen wir aber zurück zum Kloster Bergen. Als der Neuburger Fürst Ottheinrich im Jahr 1542 zum lutherischen Glauben konvertierte, wurde das Kloster aufgehoben und die Nonnen mussten 1544 Bergen unter Zwang verlassen. Sie konnten später für kurze Zeit zurückkehren. Die Wiederbelebung nach dem Schmalkaldischen Krieg während der kaiserlichen Statthalterschaft in Neuburg (1546–1552) währte nicht lange. Ab 1552 durften keine Novizinnen mehr aufgenommen werden, die Frauen durften aber bleiben. Noch 1583 ist eine Frauengemeinschaft, nicht mehr mit einer Äbtissin an der Spitze, sondern mit einer Verwalterin nachweisbar. Immerhin bestand noch eine eigene Vermögensverwaltung. 1590 war der Restkonvent ausgestorben, das Klosterleben endgültig erloschen, das Vermögen fiel an den Landesherrn. Der klösterliche Besitz wurde aber nicht zertrümmert, er sollte nach dem Willen von Herzog Wolfgang (reg. 1556– 1569) ab 1558 für karitative Zwecke und vor allem als materielle Grundlage für die gymnasiale Ausbildung von zukünftigen evangelischen Geistlichen und Beamten in Lauingen dienen. Für Bergen bedeutete das einen gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ein- und Umbruch. Das Dorf verlor sei- ne Bedeutung und damit viele Einrichtungen:
Die Bäckerei und die Brauerei des Klosters gingen unter, Schneiderinnen, Weberinnen und eine Kürschnerin verloren ihre Arbeit, das Kloster hörte auf, Arbeitgeber zu sein. In der Tafernwirtschaft stiegen kaum mehr Gäste ab. Die Geld- und Naturalabgaben flossen über eine Propstei mit Sitz in Neuburg nach Lauingen.

Das änderte sich auch nach der Einführung der katholischen Konfession ab 1617 nicht sofort, denn das Kloster wurde nicht wieder eingerichtet. Als neuer Obereigentümer über das Dorf Bergen waltete ab 1634 auf „untertänigste Bitte des Rektors“ das Neuburger Jesuitenkolleg bzw. ab 1638 das von den Jesuiten geleitete Studienseminar in Neuburg. Mit der Vereinnahmung der Einkünfte aus dem Bergener Besitz erfolgte jetzt auch die Seelsorge in Bergen durch Patres der Gesellschaft Jesu. Noch kurz vorher hatte Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (reg. 1614–1653) mit der Bergener Bevölkerung ein Einsehen gehabt: Er genehmigte als Ersatz für die untergegangene Klosterbrauerei dem Tafernwirt eine reale Brauereigerechtigkeit.

Nach dem Inhalt der Urkunde, die am 12. Juli 1624 für den Bergener Tafernwirt Kaspar Bader ausgestellt wurde, war es die Absicht, die Gemeinde Bergen, die Reisenden, aber vor allem die fürstlichen Jäger und Fischer mit gutem Bier zu versorgen. Die Genehmigung beschränkte sich aber auf Braunbier. Die Brauerei durfte zudem keine Konkurrenz für das fürstliche Brauhaus in Neuburg oder andere Brauereien werden. Daher erlaubte der Herzog dem Kaspar Bader, nur so viel Bier zu brauen, wie er in seiner Wirtschaft ausschenken konnte. Der Ausschank seines Bieres an anderen Orten war nicht erlaubt. Auch eine Bäckerei entstand vermutlich in dieser Zeit wieder. Die Haushalte waren in der Vergangenheit wohl durch die ehemalige Klosterbäckerei mit gutem Brot versorgt worden, so dass es kaum eigener Backöfen bei den Anwesen bedurft hatte. Klosterschwestern ließen sich früher das Geschäft nicht durch Selbstversorgung nehmen. Nun aber war die Grundversorgung mit Bier und Brot erneut hergestellt.

Selige Biletrud (Wiltrud) von Bergen

Holzschnitt von Leonhard Beck (Augsburg um 1480 – 1542; Studienseminar Neuburg)

Schreckliche Kriegszeiten

Gedenktafel aus der 1972 abgebrochenen Sebastianskapelle

Doch gleichzeitig geriet Bergen – wie viele andere Dörfer auch – in die Auseinandersetzungen der großen europäischen Politik. Die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges brachen auch über diesen Ort herein. Sechzehn Mal wechselten im eigentlich neutralen Neuburg die Besatzungen der kriegführenden Mächte. Das gleiche Schicksal erfuhren die Dörfer rundum. Besonders schlimm herrschte die Kriegsfurie von 1632 bis 1634 und von 1646 bis 1648. Die Soldaten nahmen, was sie wollten, misshandelten, vergewaltigten, mordeten und verwüsteten. So wüteten 1648 die Soldaten sechs Monate lang in Bergen. Französische Plünderer schleppten Feldfrüchte und das wenige noch vorhandene Vieh fort. Aus der Klosterkirche und der Kapelle St. Sebastian wurden sogar die Windeisen und die Bleieinfassungen der Fenster demontiert und bei den Häusern die Eisenbänder und Angeln von den Türen abgeschlagen und mitgenommen. Zeitweise floh die Dorfbevölkerung in die Wälder und in die nahegelegenen, befestigten Märkte und Städte, wo sie sich etwas sicherer fühlte. Erst langsam kehrten nach Kriegsende die Überlebenden in ihre Häuser, oder was davon noch übrig war, zurück. Ohne Zugvieh und ohne den Dung der Rinder war eine Feldbestellung kaum möglich. Erst nach und nach erholte sich die Wirtschaft. Es dauerte über fünfzig Jahre, bis der Vorkriegszustand wieder einigermaßen erreicht werden konnte.

Aufschwung durch die Wallfahrt zum Heiligen Kreuz

Erinnerungstafel vom Giebel des früheren Zehnstadels,

der heute das Badehaus des Hotels Zum Klosterbräu beherbergt (ausgestellt in der Malztenne)

Besondere Hilfe erhofften sich die damals leidgeprüften Menschen durch überirdischen Beistand. Was lag näher, als sich direkt an unseren Herrgott zu wenden, und der war ja mit seinem Kreuz in Bergen „unmittelbar“ anwesend.

Neben der seelsorgerischen Betreuung der Pfarrei Bergen förderten die Jesuiten geschäftstüchtig das Wallfahrtswesen. Zuerst wurde 1643 die in der protestantischen Zeit profanierte Sebastianskapelle für den katholischem Ritus eingerichtet und die Reliquie des Heiligen in einer großen Prozession von Neuburg hierher nach Bergen überführt. Pilger trugen bald darauf großzügige Spenden und mit ihren Gebeten auch ihre Sorgen in dieses kleine Gotteshaus zum heiligen Sebastian. Er stand den Menschen in Seuchenzeiten bei der Erhaltung oder Wiedererlangung der Gesundheit – auch der Tiere – bei und wurde deshalb besonders oft angerufen.

Danach werteten die Patres der Gesellschaft Jesu den in der Kloster- und Pfarrkirche vorhandenen Kreuzpartikel auf. Dieser Partikel kann schon seit dem 13. Jahrhun- dert in Bergen angenommen werden. Erst im 15. Jahrhundert sind an den Festtagen der Kreuzauffindung (3. Mai) und der Kreuz- erhöhung (14. September) Umgänge mit den Herrenreliquien vom Kreuz, von der Dornenkrone, von einem Teilchen der Lanze des Longinus und von einem Stück der Geißelsäule belegt; doch lässt das noch nicht auf eine große Wallfahrtsbewegung nach Bergen schließen. Die frühere Wertschätzung der Kreuzreliquie ist nachweisbar, wenn auch noch nicht als volksfromme Massenbewegung. Es wird überliefert, dass die Nonnen beim Auszug aus dem Kloster 1544 den Kreuzpartikel in einem beschwerten Holzblock vor den „Lutherischen“ versteckten und im Brunnen der Unterkirche versenkten. Siebzig Jahre später soll ein alter Mann bei der Einführung der katholischen Konfession in Pfalz-Neuburg das Geheimnis gelüftet haben. Die wertvolle Reliquie wurde wieder gehoben.

Die ersten größeren Prozessionen zum Heiligen Kreuz führten ab 1644 von Neuburg nach Joshofen. Erst unmittelbar nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begannen große Prozessionen von Neuburg aus zum Heiligen Kreuz von Bergen.

Das erste „Wunder“, das sich beim Kreuzpartikel in Bergen ereignete, hat Pfarrer Stephan Eggl (*1671, †1726) im Jahr 1708 ausführlich in das Mirakelbuch von Bergen eingetragen. Zwei Frauen aus Egweil brachten ihre kranken Kinder nach Bergen. Ihnen legte der Pfarrer die Reliquie vom Heiligen Kreuz auf und segnete sie damit. Ein Kind wurde von seinen Leiden erlöst, das andere geheilt. Der Pfarrer schrieb dazu: Und hat sich also mit denen Kindern diese Wahlfarht angefangen. Das Wunder verbreitete sich in Windeseile, danach kamen aus allen Gegenden zwischen Nürnberg und Augsburg, zwischen Lauingen und Landshut Wallfahrer nach Bergen, um ihre Nöte und Sorgen vorzutragen. Viele Messen wurden beauftragt und auch bezahlt. Prof. Walter Pötzl schildert das ausführlich in dem Buch „Bergen bei Neuburg an der Donau“.

Mehrere Wallfahrtskapläne und die Pfarrer der Umgebung konnten die Zahl der Messen nicht bewältigen. So wurde in einer Visitation im Jahr 1713 bemängelt, dass noch 10.000 bezahlte Messen gelesen werden müssten. Der Stau konnte nicht abgebaut werden, obwohl zum Beispiel im Jahr 1712 am Fest Kreuzerhöhung 36 Geistliche an den vielen Altären zelebrierten. Am Verbrauch der Hostien lässt sich ermitteln, dass in den Jahren 1710 bis 1717 jährlich zwischen 40.000 und 50.000 Pilger nach Bergen kamen.

 

 

Die obere Tafern von Bergen

 

 

Bei diesem enormen Zulauf an Gläubigen in dem kleinen Dorf durfte eine funktionierende Versorgung der Menschen nicht fehlen. Speisen und Getränke für die Wallfahrer mussten bereitgehalten werden, dazu waren für die von weither Kommenden Übernachtungsmöglichkeiten gewünscht. Das alles hatte eine Tafern zu leisten. Die Tafern gehörte zu den vier Ehaftgewerben, welche die Grundversorgung eines Ortes sicherstellen mussten. Für die Gesundheit war der Bader zuständig. Er hatte für die Reinlichkeit warmes Badewasser bereit- zuhalten, die Haare zu stutzen, kleinere Blessuren zu behandeln und „chirurgische“ Zahnbehandlungen vorzunehmen, also die Zähne zu reißen, wenn der Schmerz zu groß wurde. Gewiss kam auch mancher Wallfahrer nach einer langen Wegstrecke zu ihm. Der Schmied war für alles eiserne Werkzeug in Haus und Hof zuständig, aber auch für den Hufbeschlag der Zug- und Reittiere und für die Montierung der Wägen. Der Müller hatte das in der Flur erzeugte Getreide für die Grundnahrungsmittel Brot und für sonstige Teigwaren zu mahlen. Und schließlich war die Tafern ein Gast- und Beherbergungsbetrieb, der – wie die drei anderen Ehaften – mit einer obrigkeitlichen Lizenz ausgestattet war und überwacht wur- de. Die Tafern war für das gesellschaftliche Funktionieren der Dorfgemeinschaft von Bedeutung. Sie war aber auch für das Wohl der Reisenden verantwortlich. In ihr durfte nicht nur – wie in einer „Zapfenwirtschaft“ – das normale, braune Bier ausgeschenkt werden. Sie hatte zusätzlich Schankrecht für Weißbier, Wein und Schnaps. Und sie hatte Essen auszugeben und Unterkunft zu gewähren. Die Feierlichkeiten des Lebenslaufes wie Taufen, Hochzeiten und Leichenschmäuse, die Feste im Jahreslauf wie Kathrein- oder Kirchweihtanz durften nur in der Tafern abgehalten werden. Alle Ehaftgewerbe waren verpflichtet, das Dorf zu versorgen. Als Gegenleistung wurde keine Konkurrenz zugelassen. Dass diese Monopolstellung nicht ausgenutzt wurde, da- für sorgte die Obrigkeit, welche die Preise festlegte. Die Dorfbevölkerung musste aber auch „ihre“ Ehaftgewerbe beauftragen. Ein Ausweichen auf Schmiede, Bader, Müller oder Tafernen in den Nachbarorten war nicht gestattet.

Über die Geschichte der Bergener Tafern schrieb der frühere Neuburger Archivar Gerhart Nebinger (1911-1997) in der kleinen Festschrift zur 1000-Jahrfeier des Klosters Bergen im Jahr 1976 einen gut recherchierten Beitrag: „Neben Kirche und Kloster war im alten Bergen unstreitig das wichtigste Gebäude das Wirtshaus, wo die Einheimischen ihr Bier tranken und ihre Feste feierten und wo die Fremden Unterkunft und Kost fanden. Die erste Nachricht, die wir von der uralten Tafern „Zum Kreuz“ [im ehemaligen Haus Nr. 3, dem heutigen Klosterbräu] erhalten, stammt aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. 1521 empfängt laut Notiz der Äbtissin Sabina Peter Wirth die Tafern. […] Sein Nachfolger ist Thomas Öttinger, der 1530 erwähnt wird. Der nächste Tafernwirt, von dem nur der Vorname Philipp bekannt ist, übernahm 1542 die Nassenfelser Wirtschaft und hatte – allerdings ohne zu protokollieren – seinem Landsmann Balthasar Prande aus Nassenfels die Bergener Tafern verkauft. Der ehemalige Förster von Bergen, Hans Ziegler, genannt Pecker, glaubte Ansprüche auf die Tafern zu haben und erlangte sie auch, da die Klosterverwaltung ihm recht gab. Die Familie Ziegler blieb in der evangelischen Zeit des Fürstentums Neuburg (1542/52–1614/17) auf der Wirtschaft, zu- erst der genannte Hans, dann sein gleichnamiger Sohn, welcher bei der Pfarrvisitation von 1583 als Zensor, also etwa Kirchengemeinderat, erwähnt wird. Hans d. J. übergab 1595 seinem Sohn Gall, welch letzterer 1599 die Tafern verkaufen wollte. Dies führte zu Streitigkeiten mit Galls Schwägern, dem Bergener Bauern Jakob Wörlin, dem evangelischen Pfarrer von Zell, Christoph Melonius, und dem Neuburger Kirchenverwalter Jeremias Landerer, welche durch ihren Protest den Verkauf vereiteln konnten.“

Die Töchter des Tafernwirtes Ziegler ehelichten durchwegs Männer des gehobenen Standes. Das zeigt zumindest indirekt die angesehene Stellung und die Finanzkraft eines Tafernwirtes, denn eine Einheirat in ein Bauernanwesen oder eine Verehelichung mit höheren Standespersonen bedurften einer entsprechenden Mitgift. Ein Schwiegersohn war Christoph Melonius, der 1565 in Amberg geboren wurde, in Tübingen studierte und dort 1587 den akademischen Grad Magister erlangt hatte. Er war von 1588 bis 1596 Pfarrer in Ammerfeld und danach bis 1607 in Zell bei Neuburg. Melonius heiratete 1588 und starb 1611 in Fürnried. Ein weiterer Schwiegersohn der Familie Ziegler war Jeremias Landerer. Der Sohn des Lauinger Gegenschreibers Martin Landerer war ab 1588 in Neuburger Kirchenverwaltungen tätig, seit 1588 als Ge- neralkirchenverwalter für das gesamte Fürs- tentum. Landerer verließ als Protestant im Zuge der Gegenreformation das Fürstentum Neuburg. Gerhart Nebinger führte weiter aus:

„Gall blieb noch weitere 23 Jahre Wirt, veräußerte dann 1622 die Tafern an Caspar Bader und betätigte sich bis zu seinem Tod 1627/28 als sehr wohlhabender Bauer in der Landwirtschaft. Sein Nachfolger Caspar Bader erhielt am 12. Juni 1624 von Herzog Wolfgang Wilhelm das Privileg, für den Bedarf seiner Wirtschaft Braunbier brauen zu dürfen. Bader wird noch 1631 mit einer jährlichen Steuersumme von 17 Gulden und 5 Kreuzer genannt. Für die folgenden Jahre des Dreißigjährigen Krieges und der ersten Nachkriegsjahrzehnte konnten bislang noch keine Nachrichten über die Tafern ermittelt werden. Die nächste Nachricht ist von 1670. Damals heiratete der neue Wirt Georg Braun oder Praun die Witwe Elisabetha seines ungenannten Vorgängers. Braun stirbt 1685 und die Witwe bringt ihrem nun dritten Mann, Ferdinand Anton Waibel, die Bergener Tafern zu. Als sie stirbt, führt Waibel 1705 als zweite Frau eine Wirtstochter Speth aus Riedensheim in die Tafern „Zum Kreuz“. 1720 war Waibel schon tot. Von seiner Witwe mit ihren fünf Kindern zwischen vier und 13 Jahren heißt es in einem damaligen Einwohnerverzeichnis von Bergen, sie stehe sehr schlecht wegen schwerer Unglücksfälle, wodurch sie in große Schulden geriet.

Trotzdem muss damals in der Zeit der großen Wallfahrten der Wirtschaftsbetrieb recht bedeutend gewesen sein, denn neben dem Bräuknecht hatte sie noch vier männliche und drei weibliche Dienstboten. Die Schuldenlast nötige zum Verkauf des jetzt Obere Tafern genannten Wirtshauses an den Bierbrauer Johannes Rath. Rath starb 1729, ihm folgte sein 1736 heiratender Sohn Hieronymus Rath.“

 

 

 

 

 

 

 

Eine Tafern reicht nicht mehr für Bergen

 

 

 

Der ab 1710 anschwellende Strom von Wallfahrern überforderte die Tafern „Zum Kreuz“ beträchtlich. Die Pilger konnten dort nicht mehr ausreichend versorgt werden, es waren einfach zu viele. So kam der für das Neuburger Jesuitenkolleg tätige, aus Velburg in der Oberpfalz stammende Bäcker Johann Philipp Hayder auf die Idee, um eine Kon- zession zum Betreiben einer zusätzlichen Wirtschaft und gleichzeitig einer Bäckerei in Bergen nachzusuchen. Seine guten Beziehungen zu den Jesuiten, die über das Seminar indirekt Grundherren in Bergen waren, haben ihm dabei gewiss nicht geschadet. Jedenfalls werden diese bei Kurfürst Johann Wilhelm für ihn und seinen Antrag ein gutes Wort eingelegt haben. So bewilligte der Fürst – von Düsseldorf aus – am 21. Oktober 1710 für Hayder eine zusätzliche Bierwirtschaft und zugleich eine Bäckergerechtigkeit für Bergen. Das löste beim bisherigen Tafernwirt Ferdinand Anton Waibel bestimmt keine Begeisterung aus. Die neue Schankwirtschaft und die Bäckerei waren zuerst in den vom Klosterabbruch 1679 verschont gebliebenen Gebäuden eingemietet. Sie sind heute noch im Westen an die Kirche angebaut.

Hayder hatte wirtschaftlichen Erfolg, denn er konnte nach dem Schritt in die Selbstständigkeit drei Jahre später die Tochter des reichen Zinngießers und Ratsmitgliedes Josef Gailhofer aus Neuburg ehelichen. 1719 erwarb er ein größeres Grundstück im Dorf und erbaute da-rauf eine neue Tafern. Dafür erteilte Kurfürst Carl Philipp am 30. Januar 1719 mit einer prächtigen Pergamenturkunde und einem wunderschönen Wachssiegel in einer Buchsbaumdose eine zweite Taferngerechtsame für Bergen und eine Bäckereigenehmigung für das neu zu errichtende Haus. Gleichzeitig genehmigte der Fürst dem Gastgeber, ein Wirtshausschild anzubringen, das den goldenen, heraldisch nach links gerichteten und das pfalz-bayerische Wappen haltenden pfälzischen Löwen auf blauem Grund über der Jahreszahl 1719 zeigt. Die neue, nun „untere“ genannte Tafern wurde dort errichtet, wo sich heute der „Baringer Hof“ befindet.

Ausdrücklich wurde bestimmt, dass der neue Tafernwirt sein Bier von der Hofbrauerei auf der Insel in Neuburg zu beziehen habe. Das war ein harter Schlag gegen und eine große Konkurrenz für den ortsansässigen Bräu Ferdinand Anton Waibel.

 

 

 

 

 

 

 

 

Simon Böhm kommt nach Bergen und begründet die Familientradition

 

 

Lehrbrief von Simon Böhm vom 23. Mai 1744 (Familienarchiv Böhm)

 

Die oben erwähnte Aussage von Gerhart Nebinger, dass Ferdinand Anton Waibel aus Burgheim 1720 schon tot gewesen sei, ist zutreffend, denn Waibel wurde am 25. Oktober 1719 mit fünf anderen Missetätern in Neuburg hingerichtet. Nach der Überlieferung des Pastoralblattes von Eichstätt aus dem Jahr 1891 wurden sie in puncto furti, robariae et abiegatus verurteilt. Ihnen wurde demnach Diebstahl, Raub und (vermutlich) Viehdiebstahl vorgeworfen (für die Deutung des „unklassischen“ Lateins danke ich den Mitarbeitern des Thesaurus Linguae Latinae bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ganz herzlich). Das später verbreitete Gerücht, Waibel habe zwei Gäste umgebracht und deren Fleisch seinen Gästen vorgesetzt, ist in keinem der Anklagepunkte oder im Urteil zu finden und auch nicht haltbar. Es ist verständlich, dass die Witwe nach der Hinrichtung ihres Mannes in wirtschaftliche und bestimmt auch in gesellschaftliche Schwierigkeiten geriet. Die Untaten und die Hinrichtung waren keine Reklame und schon gar keine Empfehlung für die Obere Tafern. Dazu durfte in unmittelbarer Nachbarschaft fast zur gleichen Zeit eine neue Tafern aufmachen. Der geschäftliche Niedergang war vorprogrammiert und der Verkauf der ehedem gut gehenden Lokalität war konsequent.

Die 1736 geschlossene Ehe des bei Nebinger erwähnten neuen Besitzers Hieronymus Rath bestand nicht lange. Denn bereits am 19. Mai 1744 heiratete seine Witwe Anna Maria Rath in Bergen den Brauknecht Simon Böhm. Böhm war in Obereichstätt als Sohn des dortigen Bauern Jakob Böhm geboren worden, sein Geburtsdatum ist jedoch nicht überliefert. Die Aufzeichnungen der dortigen Pfarrei weisen nach Auskunft des Diözesanarchivs Eichstätt um diese Zeit Lücken auf. Vier Tage nach seiner Hochzeit erhielt Böhm von der Eichstätter Brauerzunft ein von ihm erbetenes „qualifiziertes Dienstzeugnis“. Darin werden seine Ausbildung, seine bisherige Tätigkeit und sein Charakter beschrieben. Dieses Zeugnis für seine im Hochstift Eichstätt absolvierte Ausbildung und erworbenen Erfahrung benötigte er gewiss, um als Zuwanderer in Pfalz-Neuburg sein Handwerk ausüben zu dürfen und in die Gilde der neuburgischen Brauer aufgenommen zu werden. Simon Böhm heiratete nämlich vom Hochstift Eichstätt in das Fürstentum Pfalz-Neuburg, also über Ländergrenzen hinweg. Die Vor- stände der Brauerzunft in Eichstätt bescheinigten ihm die Ausbildung, die er als Braunbier-Brauer in Rebdorf am 24. April 1726 begonnen und am 24. April 1728 mit der Freisprechung beendet hatte. Anschließend arbeitete er als Bräuknecht im fürstbischöflichen Brauhaus Hofmühl bei Eichstätt. Einige Jahre war er dort sogar Oberknecht, also Vorarbeiter. Er wurde als ehrbar, bescheiden, treu, fleißig, ehrlich und vor allem als fromm beschrieben. Und er genoss das Vertrauen seiner zufriedenen Zunftmeister.

Wenn wir annehmen dürfen, dass Simon Böhm mit etwa 18 Jahren die Ausbildung beendete, dann muss er um 1710 geboren worden sein und bis zu seinem 34. Lebens- jahr auf die günstige Gelegenheit gewartet haben, durch die Heirat mit einer Brauereibesitzerswitwe zum selbstständigen Bräu zu werden. Dazu war er für die Witwe ein geeigneter, als Bauernsohn nicht unvermögender Ehepartner. Böhm war gewiss über die Jahre hinweg sparsam gewesen und konnte mit seinem Vatergut beachtliche Mittel mit in die Ehe bringen. Es kann angenommen werden, dass Simon Böhm in der Hofmühlbrauerei in Eichstätt auch das Weißbierbrauen gelernt und auch praktiziert hatte. Weißbier war ein privilegiertes Brauverfahren, das damals nur ganz wenigen Brauereinen vorbehalten war. Die fürstliche Brauerei an der Altmühl hatte mit Sicherheit das damals sehr begehrte obergärige Bier hergestellt. Die Brauerei in Bergen soll im Jahr 1682 das Recht der Weißbierherstellung erhalten haben. Wie aus den Quittungen des Ungeldschreibers (Biersteuereinhebers) des Kastenamts Steuerbehörde) in Neuburg hervorgeht, legte Simon nach der Hochzeit richtig los. Seine Frau hatte im ersten Quartal 1744 gerade einmal 32 Eimer Weißbier und 14,25 Eimer Braunbier gesotten. Simon Böhm braute im zweiten Quartal kein Braunbier, sondern nur noch das beliebte Weißbier. Er erhöhte den Ausstoß auf 80,25 Eimer. Ein Eimer war das damalige Hohlmaß für Wein und Bier und beinhaltete etwa 62 Liter. Damit verdoppelte Simon Böhm den Ausstoß von ca. 29 Hektolitern auf 50 Hektoliter. Am 27. Mai legte er dazu noch einen Eimer Wein in seinen Keller. Das alles musste auch getrunken werden. Es kann also angenommen werden, dass mit Simon Böhm nach weniger guten Jahren der Umsatz in die Höhe ging. Dem Ungelter in Neuburg blieb er keine Steuern schuldig, er trug sogar schnell die Steuerschulden seiner Frau ab. Wohl um den Umsatz für sein eigenes Bier weiter zu steigern, kaufte Böhm am 6. August 1751 von der fürstlichen Hofkammer zu Neuburg die bankrott gegangene Tafern in Ried bei Neuburg mit Haus, „Hofreith“ und etlichen Tagwerk Grund um nicht weniger als 2.450 Gulden. Die Hofkammer war anscheinend Hauptgläubigerin des Voreigentümers gewesen. Vielleicht war die Lokalität auch nur ein Spekulationsobjekt, denn in späteren Besitzaufzeichnungen taucht die Rieder Tafern nicht wieder auf. Der Zeitpunkt des Wiederverkaufs jedenfalls ist im Familienarchiv Böhm nicht zu finden.

Simon Böhm begann zudem mit der Arrondierung seines Besitzes. Von seinem nördlichen Nachbarn Simon Pößl erwarb er dessen Sölde, die im Süden an seine Tafern, im Westen an die Klostermauer, im Osten an die Gemeindegasse und im Norden an das Anwesen des Baders Michael Fimberger grenzte. Zu diesem kleinen Anwesen gehörten auch einige Äcker. Wesentlich war ihm aber das Haus, wohl mit dem Ökonomietrakt unter einem Dach. Simon Böhm ließ es völlig abreißen. Aus dem Platz machte er einen Garten. Das war die erste Vergrößerung seines Grundbesitzes in Bergen. Die erworbene Sölde mit allen zugehörigen Grundstücken bestand zwar de jure weiter, denn er entrichtete weiterhin die darauf anfallenden Abgaben an das Hofkastenamt in Neuburg und das Studienseminar als unmittelbare Herrschaft. De facto aber integrierte Böhm das kleine Anwesen in seinen Besitz. Er wurde zu dieser Zeit als Bräu, Oberer Tafernwirt, Halbbauer und Söldner bezeichnet und konnte seinen Besitz wohlgeordnet an seinen einzigen am Leben gebliebenen Sohn Franz übergeben. Damit begründete er eine erfolgreiche Brauer-, Wirts- und Landwirtsdynastie. Simon Böhm starb am 7. Dezember 1781 mit etwa 71 Jahren. Seine Frau Anna Maria, verwitwete Rath, überlebte ihn um sieben Jahre.

Kaufurkunde für Simon Böhm (Familienarchiv Böhm)

Franz Böhm – Bewahrer des Erbes

 

 

Den Ehevertrag, den der 27-jährige Franz Böhm kurz vor der kirchlichen Trauung am 18. Dezember 1778 mit der ehelichen Tochter Maria Anna des Rennertshofener Baders und Bürgermeisters Leopold Hirsch und dessen schon verstorbener Frau Catharina schloss, stellten die Brautleute in einer Art Präambel unter den Schutz der allerheiligsten und unzerteilbaren Dreifaltigkeit, Gott des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Sie bekundeten, das Heiratsverspechen baldmöglichst in der Bergener Pfarrkirche durch priesterliche Copulation bestätigen zu lassen. Dann ging es im Vertrag um materielle Absicherungen und Vereinbarungen. Die Braut, noch nicht volljährig, versprach vor ihrem Vater und den Vormündern, 2.500 Gulden nebst einer reichlichen Ausfertigung [= Aussteuer] mit in die Ehe ein- zubringen. Der Bräutigam Franz Böhm widerlegte ihr seinen drei Tage vorher von seinen Eltern übernommenen, bis auf 862 Gulden schuldenfreien und unverpfändeten Besitz, d. h., er brachte ihn als Gegenstück zur Mitgift in die Ehe ein. Es folgten noch Abmachungen über das Ableben eines der beiden Ehegatten bei Kinderlosigkeit und wie dann die Abfindung der Verwandten geschehen solle. Dabei erscheint es aus heutiger Sicht kurios, dass beim Tod der Ehefrau der Mann für die Kleider seiner Frau an deren Verwandten zweihundert Gulden ausbezahlen sollte. Darin kommt der Wert von Kleidung in der damaligen Zeit deutlich zum Ausdruck. Heute wird die Kleidung von Verstorbenen in die Altkleidersammlung gegeben, früher war sie gut verkäuflich oder vererbbar. Sie sollte als „geliehenes Gut“ wenigstens teilweise in Geld zurückgegeben werden. Der Vertrag wurde vor der churfürstlichen wohllöblichen Seminaradministration in Neuburg und vor Zeugen geschlossen, und es wurde um die Einwilligung und Bestätigung durch das Seminar als Grundherrschaft gebeten. Mit der Übergabe des Anwesens und der Hochzeit waren wieder geregelte Verhältnisse eingekehrt.

Leider währte das Eheglück nur knapp sieben Jahre. Anna Maria Böhm brachte den Sohn Jakob (*4. September 1780) und die Tochter Maria Theresia (*9. Oktober 1783) zur Welt, die aber bereits am 8. Februar 1784 starb. Noch vor der Tochter starb am 3. Januar 1784 die Mutter.

Gute zwei Jahre später, am 6. Juli 1786, heiratete der Witwer erneut. Diesmal war es keine betuchte Braut, die eine große Mitgift mit in die Ehe bringen konnte. Sie hieß Anna Maria und war die Tochter der Tagelöhnerseheleute Joseph und Eva Affalter aus Bergen. Ihre Mitgift betrug lediglich 100 Gulden. Vielleicht stand Maria Anna sogar bei Franz Böhm in Diensten und hatte dabei die Zuneigung des Hausherrn gewonnen. Jedenfalls trug sie bei ihrer Hochzeit bereits den am 12. Dezember 1786 geborenen Sohn (Johann) Michael unter ihrem Herzen. Dass ein Bauer seine Magd schwängerte, war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Dass er sie dann aber auch ehelichte, war nicht üblich. Vielmehr wurden die bedauernswerten Frauen oftmals vom Hof gejagt und gebrandmarkt. Bei Franz Böhm und Maria Anna Affalter war die Verbindung nach damaliger Auffassung ungewöhnlich. Es war wohl eine Liebesheirat und keine „ausgemachte“ Ehe. Die Verbindung wurde zudem recht harmonisch. Aus der Ehe entsprangen in fünfzehn Jahren insgesamt acht Kinder. Die jüngste Tochter Margaretha bekam die Ehefrau 1801 – schon als Austräglerin und im fortgeschrittenen Alter von 48 Jahren.

Es ist anzunehmen, dass die Verwandtschaft der verstorbenen Anna Maria im Hinblick auf eine mögliche Wiederverheiratung des Witwers darauf drang, dass der Sohn Jakob aus erster Ehe ordentlich abgesichert wurde. Ein erster Kindsvertrag zu Gunsten von Jakob wurde am 24. Juni 1785 geschlossen. Mit einem Kindsvertrag sollte unter Aufsicht von Vormündern die Verwaltung des Muttergutes, das dem Minderjährigen zustand, gesichert bleiben. Dazu hatte sich der Vater vertraglich verpflichtet, dass der Sprössling in seiner Kindheit ordentlich versorgt und ausgebildet wird.

Anna Maria Böhm

Grabplatte an der südlichen Kirchenmauer von Bergen

 

 

Franz Böhm

Grabplatte an der südlichen Kirchenmauer von Bergen

 

Nach dem Tod des Vormundes und Großvaters Leopold Hirsch musste für Jakob ein neuer Vormund bestellt werden. Möglicherweise glaubte jetzt die Stiefmutter, dass in dem älteren Vertrag der Vater aus Unüberlegtheit so viel zu erfüllen versprochen habe und bei der Einhaltung in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen würde. Vielleicht sah die zweite Ehefrau auch die gemeinsamen Kinder benachteiligt. Daher wurde der Vertrag neu gefasst. Franz Böhm hinterlegte am 26. Januar 1790 beim Seminarprobstamt in Neuburg – als „notarielle“ Instanz – einen zweiten Kindsvertrag für Jakob. Neuer Vormund wurde der „Maierbauer“ Thomas Gensberger. Er kam nun aus dem Dorf selbst.

Sozialgeschichtlich ist dieser Vertrag ein Spiegelbild der damaligen Zeit. Zuerst wurden dem Sohn Jakob aus erster Ehe 1.800 Gulden als Muttergut zugesichert, das bis zu seinem 18. Lebensjahr unverzinst blieb, ab dann aber zu drei v. H. zu verzinsen war oder von ihm nach einer Kündigungsfrist gefordert werden konnte. Jakob hatte Anspruch auf eine anständige Kleidung und Nahrung. So er Lust trägt, [solle er] das Bräuerhandwerk unentgeltlich erlernen. Wenn er das nicht wolle, so sollten ihm für die Ausbildung in einem anderen Handwerk 50 Gulden ausbezahlt werden. Im Krankheitsfall oder bei Arbeitslosigkeit nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres hatte er unentgeltlichen Unterschlupf im Haus mit Speis und Trank. Was damals nicht immer selbstverständlich war: Jakob wurde ein eigenes Bett zugesichert, das mit einem Ober- und einem Unterbett, einem Pfulgen (= Kissen), zwei Leintüchern, alles mit zweifachen Überzügen, auszustatten war. Vielfach mussten Kinder nämlich zu zweit und sogar zu dritt in einem Bett schlafen. Da war es schon ein Luxus, ein eigenes Bett zu haben. Zuletzt wurde dem Erstgeborenen Jakob das Vorkaufsrecht für den Gesamtbesitz im Falle einer Veränderung zugestanden. Indirekt wurde damit schon die Erbfolge vorweggenommen, die später auch eintreten sollte.

Franz Böhm erlernte nach dem Wunsch seines Vaters ebenfalls das Brauerhandwerk. Er bewirtschaftete die ihm verliehenen Grundstücke redlich, dazu auch die Äcker und Wiesen, die aus der Sölde des Simon Pößl stammten. An Äckern gehörten neben drei Krautbeeten insgesamt 3/4 Jauchert und 1/8 Tagwerk Wiese zur Sölde. Ein Jauchert entsprach einem Tagwerk mit ca. 3.400 m2. Ackerflächen wurden damals üblicherweise in Jauchert, Wiesen und Wälder in Tagwerk, Sonderkulturen wie Weinberge oder Hopfengärten in Morgen angegeben. Krautbeete wurden ohne Flurzwang mit Kraut, Gemüse oder zuweilen auch mit Lein bebaut. Sie waren als gleich große Parzellen aus ehemaligem Gemeindebesitz (Allmende) an die Anwesen verteilt worden. Die Sölde war vom Neuburger Hofkastenamt in „Leibrecht“ verliehen, d. h. mit dem Tod des Lehennehmers oder bei sonstigem Besitzwechsel (Verkauf, Tausch) fiel das Gut an den Obereigentümerzurück und musste an den Nachfolger neu verliehen werden. In Neuburg war in der Regel auch bei „Leibrecht“ die Nachfolge in der Familie gesichert.

Das Anwesen Nr. 3 bestand aus Tafern und Bräustatt, Stadel und Stallungen, aber ohne Garten, weil in diesem die Stallungen errichtet worden waren. Dieses Anwesen wurde seit dem 23. Juni 1555 in Erbrecht verliehen, d. h. der Besitzer konnte es ohne Einspruch durch die Grundherrschaft als Obereigentümer selbst vererben, verkaufen, verschenken oder vertauschen. Das bezog sich aber immer nur auf das Gesamtanwesen. Eine Teilung oder ein Teilverkauf aus dem Gesamtgut war nicht erlaubt.

 

Der Besitzer war de facto Eigentümer, wenn auch mit Einschränkungen. Zur Tafern, Haus Nr. 3, gehörten nicht sehr viele an das Haus gebundene Äcker. Es waren lediglich 2 1/2 Jauchert sowie 5/8 Tagwerk Wiesen und wieder drei Krautbeete. Franz Böhm besaß aber schon aus früherer Zeit ein „unbezimmertes“ Lehen, auch Feldlehen genannt. Es bestand aus 21 1/2 Jauchert Äckern, aus 1 5/8 Tagwerk zweimähdigen und 5 1/4 einmähdigen, insgesamt also 7 3/8 Tagwerk Wiesen. Ein solches Lehen war ein Komplex an landwirtschaftlichen Flächen, der an kein Anwesen gebunden war. Insgesamt war so ein Lehen ebenso unteilbar und nur in seiner Gesamtheit zu behandeln. Das Feldlehen war bedeutend umfangreicher als der zum Haus gehörende Bestand, so dass Böhm mit beiden Komplexen zusammen als Halbbauer bezeichnet wurde.

Bereits 1744, also in den Wirren des Österreichischen Erbfolgekrieges, kaufte Simon Böhm zum wirklichen Eigentum aus einem gemeinen Flecken 0,75 Jauchert Acker und 0,75 Tagwerk Wiesen. Alles in allem betrug damit die landwirtschaftliche Fläche 25 Jauchert Acker und 9,225 Tagwerk Wiesen. Dazu kamen 10 Tagwerk Wald.

Von den verliehenen Anbauflächen mussten an die Herrschaft, das Studienseminar Neuburg als Nachfolger des Klosters jährlich folgende Abgaben geleistet werden: An Zins (sozusagen als Mietgeld) drei Gulden, elf Kreuzer und sechs Heller. Dazu mussten eine Fasnachtshenne und eine Herbsthenne gereicht werden, beide waren in Geld zu je 15 Kreuzer veranschlagt. An „Ertragssteur“ (Gült) wurden Naturalabgaben abgeführt: Korn (Roggen) 10 Metzen und Hafer 20 Metzen. Ein Metzen ist ein Hohlmaß für Getreide und umfasste etwa 37 Liter.

Auf das Kellerhaus mit gut 14 Metern Länge und sieben Metern Breite durften ein Dach aufgesetzt und Stuben eingerichtet werden. Stuben sind im Gegensatz zu Kammern beheizbare Zimmer. Diese erweiterten die Übernachtungsmöglichkeiten der Tafern nicht unerheblich.

Franz und Anna Maria Böhm wollten schon im August 1799 ihr Anwesen an ihren 18-jährigen Sohn bzw. Stiefsohn Jakob übergeben, noch bevor dieser seine Ausbildung als Brauer abgeschlossen hatte. Das Seminarprobstamt verweigerte die Protokollierung wegen des ju- gendlichen Alters. Die Eltern erhoben dagegen Einspruch bei der kurfürstlichen Regierung in Neuburg. Ein Jahr später gab die Administration des Studienseminars nach. Mit neunzehn Jahren durfte Jakob Böhm am 9. Juni 1800 mit Einwilligung seiner Stiefmutter von seinem Vater das Gesamtanwesen übernehmen und die „Alten“ gingen mit 49 bzw. 47 Jahren in „Rente“.

Übergeben wurden Taferngerechtigkeit, Bräustatt, Haus, Stadel, Stallungen, dann der besonders besitzenden Sölde, eigenen und Hofbaugütern [das „unbezimmerte“ Le- hen, s. o.] mit allem was Nagel und Band hält, unter Dreingab allen vorhandenen Viehs und Baumannsfahrnis [Gerätschaften zur Bewirtschaftung des Anwesens], 350 Mezen Malz, 100 Eimern braunen Sommerbiers im Keller, alles vorhandenes Zinn, Kupfer, Küchengeschirr, Krügen, Gläsern, Bettungen, Schreinerwerk, und was zum Bräuhaus gehört, Getreide, Stroh, Servietten, Tischtücher und Bettzeug. Die Übergeber behielten sich für ihre eigene Altersversorgung einen Austrag vor. Das waren an Hausrat 3 lange Kästen [stehende Schränke im Gegensatz zu Truhen, die als liegende Kästen bezeichnet wurden] mit doppelten Türen, 12 Zinnteller, 30 Ellen verschiedenes Tuch, 2 zinnerne Suppenschüssel, 3 Tischtücher, 6 Servietten, 3 mittelmäßige, teils messingene, teils kupferne Pfannen, 2 Tische aus der Kammer, 4 lange Stühle [Bänke], 5 Schlafsessel, 3 gerichtete Betten mit doppelten Überzügen und ebenso viele Bettstätten. Zur Unterkunft für sich und die jüngeren Kinder behielten sich die Eltern das hintere Stüberl vor. Für die Geschwister aber nur, so lange bis sie nach der Eltern Tod ihr Brot selbst gewinnen, oder im Krankheits- oder Arbeitslosenfall. Das sollte nur gelten, wenn sich die Eltern kein eigenes Haus kaufen würden. An Naturalien waren gefordert: 4 Klafter Holz (1 Klafter sind etwa 3 Ster) und 200 Pauschen (Reisigbündel zum Anheizen), Lieferung frei Haus. Zur Nahrung waren jährlich 24 Metzen Korn, 12 Metzen Weizen, 12 Metzen Gerste, ein gemästetes Schwein zu 100 Pfund, 25 Pfund Rindfleisch, 50 Pfund Rindsschmalz, 300 Eier und 200 Krautköpfe vereinbart. Dazu kamen monatlich ein Eimer Schankbier, wie es sich im Keller befindet, eine Maß Branntwein sowie vier Pfund Unschlittkerzen. Unschlitt ist Rindertalg. Weiterhin kamen wöchentlich zwei Maß Milch dazu. Schließlich hatte der Übernehmer für seine Eltern noch jährlich einen Metzen Lein an- zubauen. Alles andere hatten die Eltern auf eigene Kosten zu besorgen. Wenn die Eltern nicht im Haus bleiben wollten, fielen 15 Gulden Mietbeitrag an. Als Übernahme-(Kauf-) Summe wurden 4.000 Gulden vereinbart. Dazu mussten Schulden in der Gesamthöhe von 650 Gulden übernommen werden. Die übergebenden Eltern und die vier noch unversorgten Kinder konnten von den ausbedungenen Reichnissen standesgemäß leben. Den Genuss von einem Liter Bier und einem Stamperl Schnaps pro Tag für Vater und Stiefmutter war bestimmt angenehm. Was im Naturalreichnis der damaligen Zeit noch fehlte, waren Kartoffeln. Der Anbau dieser Feldfrucht bürgerte sich im 19. Jahrhundert erst allmählich in Bayern ein. Das Ausgeding konnte der Vater noch 35 Jahre und die Stiefmutter noch 28 Jahre genießen. Ein reines „Rentnerdasein“ war es für beide bestimmt nicht. Die Mitarbeit im Haus und in der Brauerei sowie auf den Feldern war, solange die Kräfte reichten, selbstverständlich.

Jakob Böhm

jung, dynamisch und erfolgreich

 

 

Jakob Böhm 1837 (1 Jahr vor seinem Tod)

 

 

Ein großes Hauswesen braucht unbedingt eine rührige und resolute Hausfrau. Jakob Böhm fand sie in der Brauertochter Catharina Donaubauer aus Gaimersheim. Er zeigte vor dem Seminarprobstamt in Neuburg am 15. Juni 1805 seine Hochzeit vor drei Zeugen an. Die Brautleute schlossen dort den Heiratsvertrag, auch diesmal wieder im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.

Anwesend waren neben den Brautleuten auch die Väter Franz Böhm und Adam Donaubauer sowie von beiden Parteien noch je zwei „Beiständer“. An erster Stelle musste die kirchliche Bestätigung der Hochzeit versprochen werden. Dann folgten finanzielle Abmachungen: Die Braut brachte noch am Hochzeitstag 2.000 Gulden ein, dazu eine standesgemäße Aussteuer. Der Brautvater gab 500 Gulden auf zehn Jahre unverzinslich dazu und der Bräutigam überführte sein ganzes Gut und Vermögen in das gemein- same Eigentum. Der finanzielle Weg in die neue Ehe war damit geebnet. Weitere Abmachungen betrafen die Rückzahlungen an die nächsten Verwandten im Todesfall eines der Eheleute, wenn kein Kind vorhanden wäre.

 

Krieg und Säkularisation

Die Übernahme des Anwesens durch Jakob Böhm fand in einer schweren Zeit statt. Der Zweite Koalitionskrieg zwischen Frankreich und Österreich tobte auch in der Gegend um Neuburg. Jakobs Aufzeichnungen lassen ei- nen kleinen Blick in die lokalen Verhältnisse zu. Sie beginnen am 25. Juni 1800, elf Tage nach seiner Übernahme des Anwesens. In Bergen lagen k. k. Latortragonner [k. k. Dragoner-Regiment Nr. 11 Maximilian Graf Baille de LaTour zu Ostrach], danach auch Infanterie. Diese nahmen sich von Böhm Bier, Brot, Branntwein, Korn und Eier, wie auch Geld, dazu für die Pferde Heu und Hafer. Es waren 40 Mann aufs biget [Piquet: Sicherung, Vor- posten]. Den 28. Junius kamen daß Erste Mahl die Franzhosen. Nach dem für die Franzosen siegreichen Gefecht von Oberhausen am 27. Juli kamen immer wieder französische Truppen und lebten nicht schlecht auf Kosten der Bauern und vor allem des Bräus und Wirtes. Böhm musste sogar die Stiefel eines Capitains zum Richten bringen und die Reparatur bezahlen. Die Soldaten wollten nur: Essen, trinken, schlafen und die Pferde ver- sorgt wissen – alles auf Kosten der Bauern. Manche junge Frau hatte sich der Zudringlichkeit der Soldaten zu erwehren, was nicht immer gelang. Zudem mussten Spanndienste geleistet werden. Im Dezember 1800 wurden sogar 200 Mann einquartiert. Diese regelmäßigen Belastungen schildert Jakob Böhm bis zum 4. März 1801, obgleich schon am 25. Dezember 1800 durch den Waffenstillstand von Steyr die Kampfhandlungen zwischen Frank- reich und Österreich beendet worden waren.

Wenn Jakob Böhm auch unmittelbar nach seiner Übernahme durch den Krieg erhebliche wirtschaftliche Einbußen hinnehmen musste, so verlief diese Zeit auf lange Sicht gesehen für ihn recht günstig. Durch die Rückendeckung Frankreichs konnte der bayerische Kurfürst Max II. Joseph (reg. 1799 als Kurfürst, ab 1806 bis 1825 als König) die weltliche Macht der Kirche brechen und ihre Besitzungen 1803 „säkularisieren“, also einziehen. Damit verlor die Kirche auch ihr Obereigentum an Grund und Boden. Aus den bis dahin gebun- denen, also unteilbaren Hofgütern konnten ab jetzt Äcker und Wiesen herausgenommen und einzeln verkauft werden. Das betraf auch die Güter des früheren Bergener Klosters. Dieser Klostergrund und etliche dazu gehörige Gebäude wurden am 1. Oktober 1806 an drei Bergener Bauern zum gemeinsamen Eigentum verkauft. Es waren dies die Ökonomen Joseph Riedelsheimer, Jakob Spiegl und Jakob Böhm. Dabei handelte es sich um eine Gesamtfläche von etwas über 147 Jauchert Äcker und etwas über 37 Tagwerk Wiesen. Als Bedingung war an den Kauf die abwechselnde Haltung des Gemeindestiers und des Zuchtebers gebunden. Als Ausgleich durfte der jeweilige Halter 12 Schweine in die Waldweide treiben und im Gemeindewald das Laub für die Einstreu in der betreffenden Zeit rechen.

Das gemeinschaftliche Eigentum bewährte sich jedoch nicht. Schon am 9. Februar 1808 einigten sich die drei Landwirte und teilten die Felder, Wiesen und sonstige Bestandteile des Klostergutes unter sich auf. Jakob Böhm erhielt rund 58 Jauchert an Äckern und etwas über 12 Tagwerk an Wiesen. Dazu bekam er das „hintere Haus“, das Kellerhaus mit Keller, das Kaplanhaus samt Garten, Schweinestall und Hofraum. Das Kaplanhaus verkaufte er 1807 bereits wieder. Nach etlichen Besitzer- wechseln kam es Anfang des 20. Jahrhunderts in das Eigentum der Familie Spiegl, die diesem Denkmal mustergültig sein histori- sches Aussehen wiedergab. Ansonsten übernahm Böhm einen mehrere Tagwerk großen Garten mit einem darin liegenden Weiher an der Dorfgasse. Darin befindet sich heute das „Austragshaus“ von Otto und Antonie Böhm. Die Haltung der Zuchttiere für das gesamte Dorf wurde jeweils für drei Jahre abwechselnd vereinbart. Der gegenseitige, gütliche Vertrag wurde vor dem königlich-bayerischen Landgericht in Neuburg geschlossen. Jakob Böhm vergrößerte dadurch seinen Besitz beträchtlich.

Damit gab er sich jedoch nicht zufrieden. Wenn sich nur immer die Gelegenheit bot, so griff er bei Immobilien zu, um Grund und Boden zu mehren. So bekam der Schmiedbauer Jakob Mayer am 25. Januar 1816 von ihm 540 Gulden für drei Äcker zu 1,75 Jauchert und für 1,125 Tagwerk Wald. Der Zertrümmerung des „Hofgutes“ von Jakob Mayer mussten noch die Regierung in Neuburg und die Seminaradministration zustimmen. Am 15. September 1831 kaufte Böhm vom Klos- terbauern Joseph Riedelsheimer den unteren Stadel, drei Tagwerk 26 Dezimal des Gar- tenackers innerhalb der Klostermauern und ein Tagwerk 53 Dezimal vom Klosterholz um 1.300 Gulden. Der von der alten Klostermauer umschlossene große Garten mit über sieben Tagwerk war jetzt insgesamt bei der Tafern.

Der Forsthof mit damals 140 Tagwerk landwirtschaftlicher Fläche aus dem Bestand des Jesuitenkollegs stand ebenfalls zum Verkauf. Jakob Böhm hatte höchstes Interesse, diesen großen Betrieb zu kaufen. Die Familientradition bei Böhm überlieferte aber, dass sich sei- ne Frau Catharina davon überfordert gefühlt hätte und den Kauf ablehnte. Der Forsthof kam daher 1811 in das Eigentum einer mennonitischen Familie.

Gesellenbrief des Jakob Böhm vom 9. November 1799

(Familienarchiv Böhm)

Mit diesem Siegel von 1676 des Studienseminars wurde der Ehevertrag von Jakob und Catharina Böhm besiegelt. Obwohl der Jesuitenorden schon seit 1773 nicht mehr existierte, wurde das alte jesuitische Siegel vom Studienseminar immer noch verwendet. Zwischen den Wappen mit dem Pfälzer Lowen und den bayerischen Rauten erhebt isch auf einem Dreiberg ein Kreuz mit dem Jesuitenemblem, umgeben von einem Strahlenkranz.

Umschrift: RECTOR SEMIN. PALAT. S CRUCIS NEOBURGI 1678

Damit Jakob Böhm in seinen jungen Jahren das Anwesen wirklich übernehmen konnte, musste er sich erst einmal von der neu eingeführten Militärdienstpflicht befreien las– sen. Das erreichte er durch die Gestellung von zwei von ihm bezahlten Ersatzleuten. Für je 100 Gulden kaufte er sich frei. Franz Weidacher aus Rohrenfels und Martin Fieger aus Bruck rückten für ihn ein. Er wurde daraufhin förmlich und auf Dauer vom Losverfahren „freigesprochen“. Der Gutsübernahme stand jedenfalls von daher nichts mehr im Weg. Wenn Jakob Böhm sich von jetzt an ohne Beeinträchtigung durch den Wehrdienst selbst um das Wohl seines Besitzes kümmern konnte, so hatten seine „Einsteher“ kein ruhiges Leben. Es ist anzunehmen, dass beide – Weidacher und Fieger – zum 7. Linien-Infanterieregiment in Neuburg eingezogen wurden. Dieses Regiment stand nach 1800 – damals noch auf österreichischer Seite gegen Napoleon – und ab 1805 auf der Seite Napoleons im Krieg. Der Feldzug von 1805 bis 1807 gegen Preußen und Russland, dann die Kämpfe in Tirol 1809/10 und schließlich der verlustreiche Krieg gegen Russland 1812 bluteten das bayerische Heer aus. Von den beiden „Einstehern“ ist nur das traurige Schicksal von Martin Fieger bekannt. Er fiel am 15. Oktober 1807 vor Warschau. Von Franz Weidacher ist kaum anzunehmen, dass er ohne Schaden aus dem Krieg zurück in die Heimat kam.

Nach vierjähriger Lehrzeit sprach Ignatius Schneider als Ladenmeister der Neuburger Brauerzunft den neunzehnjährigen Jakob Böhm am 9. November 1799 als Gesellen frei. Jakob wurden als Erkennungszeichen eine mittlere Statur und braune Haare attestiert. Er hätte sich in der Ausbildung treu, fleißig, stille, friedsam und ehrlich, wie es einem jeglichen Handwerksgesellen gebühret, gezeigt. Schon wenige Tage später, am 11. November 1799, sprach er beim kurfürstlichen Seminarprobstamt vor und bat um ein amtliches, beglaubigtes Zeugnis über seine bisherige Aufführung. Man könnte das heute ein polizeiliches Führungszeugnis nennen. Dieses brauchte er, weil er zur Weiterbildung in einer Münchner Brauerei arbeiten wollte. Das Amt sah keine Veranlassung, ihm diese Bitte zu versagen, es lagen keine Klagen gegen ihn vor. Man konnte ihn nur bestens empfehlen.

Dass der nunmehr selbstständige Brauereibesitzer sein Handwerk ernst nahm, zeigt sein Buch worinnen der zum Brauwesen gehörigen Wissenschaften enthalten sind! Gemacht mit Selbsterfahrungen von Jakob Böhm den 25. Dezember 1808. Diese vor über zweihundert Jahren verfasste, umfangreiche Handschrift könnte noch heute für Bierbrauer als Lehrbuch dienen. In der Einführung beschwört Jakob als Voraussetzungen Übersichtlichkeit und Ordnung im Brauhaus:

Die Reinlichkeit der Gerätschaften wie auch in allem bis auf den Fußboden ist höchstens zu empfehlen. […] Reinlichkeit ist die Hauptsache jedes Wesens. Die zweite Beachtung findet der Gersteneinkauf. Hier komme esauf einen guten Geruch, auf Artenreinheit an, die Gerste soll auch im Kern weiß sein. Gut eingekauft, wird sie eingeweicht, es sei darauf zu achten, dass sie beim Quellen immer noch mit Wasser bedeckt ist. In dieser detaillierten Schilderung geht es weiter, bis nach vielen Seiten das fertige Bier fließt.

Dazu passt der Austausch der alten Sudpfanne, welche die Rechnungen des Kupferschmieds Ludwig Heinz vom 3. Dezember 1803 belegen. Der Arbeitslohn wurde nach dem Gewicht der verarbeiteten Metalle be- rechnet. Das zurückgegebene Kupfer und Eisen wurden in Abzug gebracht.

Bescheinigung der Brauerzunft in Neuburg an der Donau für Jakob Böhm vom 1. März 1800

(Familienarchiv Böhm)

 

Gärten und Weiher im ehemaligen Klostergarten

(Familienarchiv Böhm)

 

Erwerb der lästigen Tafern-Konkurren

Die Hochzeit seines Halbbruders Michael Böhm mit Anna Maria Gschmack, der Tochter des Unteren Tafernwirtes Martin Gschmack, brachte diesen 1808 in den Besitz der Unteren Tafern. Anders als Jakob wirtschaftete Michael Böhm nicht besonders erfolgreich. Drückende Schulden für Bierlieferungen aus der Brauerei der Kurfürstinwitwe Maria Leopoldine sind belegt, und sie trieb Forderungen energisch ein. Schließlich verkaufte Michael am 19. Juni 1826 seine reale Tafern- und Bäckergerechtigkeit an Jakob.

Letzterer war nun die seit über hundert Jahren lästige Konkurrenz los; auf seinen Häusern lagen nun zwei reale Taferngerechtigkeiten – doppelt genäht hält besser! Jakob Böhm nahm auch das dem Wirt der Unteren Tafern verliehene Wirtshausschild (siehe oben Abb. 41) zu sich. Dieses Wirtshausschild ist heute das Logo des Klosterbräus.

Zusammen mit der Taferngerechtigkeit er- warb Jakob von seinem Halbbruder noch zwei kleinere Äcker mit einer Gesamtfläche von 1,25 Jauchert, alles zusammen um 764 Gulden. Ein Teil des Erlöses wurde von Amts we- gen gleich zur Schuldentilgung abgezweigt.

War Jakob Böhm 1800 im Übergabevertrag noch als Halbbauer bezeichnet worden, so gehörte er nach seinen Immobilienkäufen zu den größten Steuerzahlern im Landgericht Neuburg. Als solcher wurde er am 11. August 1837 – nunmehr als Gutsbesitzer – im Namen seiner Majestät des Königs zum Mitglied des Landrats für den Oberdonaukreis ernannt: Seine Majestät der König haben vermöge allerhöchster Entschließung vom 4. August d. Js. den Gutsbesitzer und Bräuer Jakob Böhm zu Bergen zum Mitglied des Landrates für den Oberdonaukreis allergnädigst zu ernennen geruht und der königl. Regierung dieses Kreises aufgetragen, denselben von dieser Ernennung in Kenntnis zu setzen.

Der Landrat war ab 1828 im Königreich Bayern neben den Kreisregierungen (heute Bezirksregierungen) ein Beratungs- und Kontrollgremium. Dort hinein wurden Grundbesitzer und Gewerbetreibende mit hoher Steuerkraft erwählt und ernannt. Der Landrat war also kein repräsentatives Gremium. Jakob Böhm kam aus dem Kreis der Grundbesitzer ohne richterliche Gewalt, d. h. er gehörte nicht zu den Adeligen mit Patrimonialgewalt, also der Zivilgerichtsbarkeit auf ihren Hofmarken. Dieses hohe Ehrenamt konnte Jakob Böhm nur ein halbes Jahr ausüben, denn er ist am 19. Februar 1838 mit 58 Jahren verstorben.

In einem Brief an seine (Halb-)Tante Creszenz berichtete Ignaz Böhm nach Wien mit weinendem Auge und innerlichen Schmerzen vom Tod seines Vaters. Er sei in München, wo er in Arbeit stand, von einem Knecht wegen des nahen Todes seines Vaters verständigt worden. Schon am nächsten Tag sei er daheim gewesen, fand den Vater noch lebend, aber im Sterbebett vor. Der verzweifelte Ignaz musste vom sterbenden Vater getröstet werden. Jakob Böhm starb an 19. Februar 1838 an Herzwassersucht. Die Beisetzung am Faschingsdienstag, den 22. Februar, war so groß, wie es in Bergen noch nie zu sehen war. Ignaz bezeichnete seine „Halb“-Tante aus der zweiten Ehe seines Großvaters in seinen Briefen als Base und sich als deren Vetter.

Nach dem Tod des Hausherrn führte die Witwe Catharina die Geschäfte weiter. Dabei gingen ihr die 32-jährige Tochter Theresia und die 18-jährige Tochter Franziska zur Hand. Die große Stütze wurde ihr 25-jähriger Sohn Ignaz. Tochter Walburga war erst 14 Jahre alt und Sohn Johann Baptist elf.

Ignaz Böhm

Der Buchhalter und Analytiker

 

 

Ignaz muss ein aufgeweckter Schüler gewesen sein. Nach dem Besuch der Werktagsschule von 1819 bis 1825 absolvierte er die Sonn- und Feiertagsschule bis zum 30. Sep- tember 1831 mit sehr großem Fleiß.

Es wurden ihm im Schulentlass-Zeugnis attestiert:

Geistesgaben: vorzüglich;

Schulbesuch: ununterbrochen;

Schulfleiß: unermüdet;

Sittliches Betragen: sehr lobenswürdig;

Religionskenntnisse: vorzüglich;

Lesen: musterhaft;

Schönschreiben: vorzüglich;

Rechtschreiben: gründlich;

Stil und schriftliche Aufsätze: sehr gut;

Rechnen: ausgezeichnet;


Vaterländische Geschichte und Vaterlandskunde: sehr gut erfahren;

Gemeinnützige Kenntnisse: sehr gut;

Gedächtnisübungen: ausgezeichnet.

Mit 19 Jahren beendete Ignaz nach drei Jahren Lehrzeit im elterlichen Betrieb seine Ausbildung zum Brauer. Am 27. November 1832 wurde er vor der Neuburger Brauerzunft als zünftiger Bierbräuer und Brandweinbrenner mit Fleiß und Pünktlichkeit und einer untadelhaften Aufführung freigesprochen

und ihm der Gesellenbrief ausgehändigt. Er lernte aber nicht nur bei seinem Vater. Ein Brief vom 4. Januar 1830 aus München belegt, dass er dort in einer Brauerei tätig war. Ignaz bedankte sich darin für das Paket mit Geräuchertem und Socken. Er klagte nicht über Langeweile, denn er hätte Arbeit im Überfluss, wenn man die Woche 13 – 14 Mal sieden muss. Aber nicht nur in München wollte er Erfahrungen sammeln. So bewährte er sich auch im Sudjahr 1834 auf 1835 zur Zufriedenheit, im sittlichen Betragen untadelhaft in der großen Brauerei in Kaltenhausen bei Hallein.

Kaum zu Hause, sollte er beim 15. Bayerischen Linien-Infanterieregiment in Neuburg zum Militärdienst einrücken.

Die Musterung bescheinigte ihm:

Größe 5 Schuh, 9 Zoll;

Haare schwarz; Stirn hoch;

Augenbrauen schwarz;

Augen braun; Nase groß;

Mund gewöhnlich; Bart ohne;

Kinn spitzig; Gesicht voll;

Gesichtsfarbe gesund;

Körperbau untersetzt;

Besondere Kennzeichen: ohne.

Am 31. März 1835 rückte Ignaz Böhm in Neuburg ein, diente aber nur ganze vier Tage. Tatsächlichen Dienst hat er aber nicht geleistet: Nachdem Soldat Ignatz Boehm einen Ersatzmann gestellt hiermit seinen förmlichen Abschied von der Linien-Armee, wird aber in Folge seiner Verfassungsmäßigen Verpflichtung zu dem Reserve-Bataillones im Bedarfs- fall, d. h. im Kriegsfall, einberufen. Das blieb ihm jedoch erspart.

Ein weiterer Arbeitsaufenthalt in München diente der Vervollkommnung seiner beruflichen Fertigkeiten: dem vorzeigen dies Ignaz Böhm von Bergen Bräuknecht auf sein gehorsamstes Bitten hiermit bezeugt, dass er vom 12. November 1837 bis Mitte Februar f. J. mithin volle 3 Monate diesorts einge- stellt war und sich während dieser Zeit durch Treue, Fleiß und Eifer in allen ihm übertra- genen Arbeiten die volle Zufriedenheit seiner Vorgesetzten sowohl als das unterfertigte Amtes errungen und der beste moralische Aufführung gepflogen habe.

München, 14. März 1838
Kgl. baierisches Hofbräuhaus München v. Poschinger k. Bräuamtskontrolleur.

Von diesem Einsatz im Münchner Hofbräuhaus wurde er nach Hause zum Abschied von seinem Vater gerufen. Ab jetzt wurden Arbeitskraft und Fähigkeiten des 25-jährigen Ignaz Böhm zu Hause benötigt. Das Rüstzeug und die Erfahrung für die Brauerei hatte er sich an unterschiedlichen Orten geholt. Zusammen mit seinen noch im Haus befindlichen älteren Schwestern unterstütze er seine Mutter bei der Betriebsführung. Nicht nur die Brauerei, der gewiss seine besondere Aufmerksamkeit galt, forderte ihn. Jetzt musste er sich zudem mit der Landwirtschaft vertraut machen. Bald nach der Übernahme des Anwesens begann Ignaz Böhm die wirtschaftlichen Grundlagen seiner Landwirtschaft zu hinterfragen, um daraus seine Schlüsse zu ziehen. Ab 1839 führte er ein Betriebstagebuch. Es lässt ungewöhnliche Einblicke in die Arbeitsabläufe, den Aufwand und die Erträge zu. Auch vorsichtige Neuerungen in den Anbaumethoden werden erkennbar.

Kleinere Hinweise finden sich dort auch zu seiner Brauerei. So berichtet Ignaz Böhm 1846, dass er jährlich 250 bis 300 Eimer [155 bis 186 Hektoliter] Winterbier und 350 bis 400 Eimer [217 bis 248 Hektoliter] Sommerbier hergestellt habe. Dafür benötigte er 95 bis 100 Schäffel Gerstenmalz und fünf Zentner Hopfen. Herr Dr. Christoph Pirzl vom Hopfenmuseum in Wolnzach klärt darüber auf, dass es bis 1860 in Bayern verboten war, im Sommer Bier zu brauen. Zwischen Georgi (23. April) und dem Mauritiustag (22. September) ruhte die Brauerei wegen der zu

hohen Temperaturen für die untergärige Hefe. Das im Frühjahr für den Sommer gesottene (Sommer-)Bier hatte aus Gründen der besseren Haltbarkeit und Lagerfähigkeit einen etwas höheren Malz- und Hopfengehalt und war damit auch etwas alkoholreicher als das im Herbst gebraute Winterbier. Im Vergleich mit heutigem Hopfenzugaben überrascht die von Ignaz Böhm eingesetzte Menge pro Hektoliter. Diese lag damals rund sechs Mal höher. Das wird heute nur bei den neuartigen Craft-Bieren erreicht. Übrigens lag der damalige Bierausstoß in Bergen mit rund 400 Hektolitern im Jahr etwa so hoch wie bei der Spatenbrauerei in München um 1800.

Landwirtschaftliche Umbrüche in der Mitte des 19. Jahrhunderts

Es galten Mitte des 19. Jahrhunderts fast noch immer die seit dem Mittelalter üblichen Produktionsmethoden der Dreifelderwirtschaft. Dabei war die Dorfflur in drei nahezu gleich große Flächen („Felder“) aufgeteilt. In diesen Feldern lagen die Äcker der einzelnen Landwirte. Für die Bestellung dieser Äcker in einem Feld bestand für alle Ökonomen der Zwang, die gleiche Frucht anzubauen. So wurden in jährlichem Wechsel in einem Feld nur Wintergetreide (Korn = Roggen oder Weizen), im anderen Feld Sommergetreide (Gerste oder Hafer) angebaut. Das dritte Feld lag brach. Es konnte sich erholen und wurde ausgiebig gedüngt. Gleichzeitig diente dieses Brachfeld neben den Stoppeläckern als Vieh- weide. Auf das Brachfeld folgte im nächsten Jahr die Aussaat des Sommergetreides und im dritten Jahr die Bestellung mit Korn oder Weizen. Nach der Ernte des Weizens oder Korns hatte das Brachfeld fast eineinhalb Jahre zur Regeneration, bis es im Frühjahr wieder mit Gerste oder Hafer bestellt wurde.

Auf seine rund 30 Tagwerk im Brachfeld des Jahres 1839 brachte Böhm 208 Fuhren Mist aus, das waren auf ein Tagwerk (rund 3.400 m2) etwa sieben Wagenladungen Dung. Der wurde im Herbst nach der Ernte und in Frühjahr vor der Aussaat, also mindestens zwei Mal untergeackert. Alle Rinder des Dorfes, die auf der Brachfläche ein Jahr lang weideten, düngten die Fläche zusätzlich, jedoch nur oberflächlich „im Vorübergehen“. Der ausgebreitete Mist wurde jedes Mal untergeackert. Von den vierzehn Böhmschen Äckern, die 1839 im Brachfeld lagen, wurden neun vier Mal und drei fünf Mal gepflügt und der Dung eingearbeitet. Einen Acker pflügte Ignaz nur einmal, danach baute er Klee an. Auf einem weiteren Acker im Brachfeld brach- te er als Zwischenfrucht Rüben aus, damit reduzierte sich das Ackern auf drei Mal. Ohne natürliche Düngung und Erholungszeit für den Boden hätte es keinen Ertrag gegeben. Justus von Liebig entdeckte zwar schon um 1840, dass Stickstoff, Phosphor und andere Mineralien das Wachstum förderten, bis zur umfassenden Einführung des Kunstdüngers dauerte es aber noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg.

Mit dem Anbau von Zwischenfrüchten auf Brachflächen griff Ignaz Böhm neue Formen der Bodennutzung auf, die nach neuesten Erkenntnissen ab etwa 1800 propagiert wurden. Die Rezeption der neuen Methoden er- folgte bei den Landwirten nur sehr langsam. Ignaz gehörte hier zu den Protagonisten in Bergen. Erstaunlich ist aber auch bei ihm, dass in den Jahren 1839 bis 1844 immer noch kein Kartoffelanbau betrieben wurde. Kurfürst Carl Theodor (reg. 1742–1799) wurde 1795 gebeten, dass er – wie in Preußen – den Anbau der Kartoffel anordnen wolle. Das lehnte er ab. Er meinte: Die aufgeklärte Vernunft der Bayern nehme die Kartoffel schon an, wenn sie nur wollten (nach Mayr ́sche Generaliensammlung). Diese Erkenntnis aufgeklärter Vernunft war bis 1844 also noch nicht bis Bergen vorgedrungen.

In seinem Tagebuch registrierte Ignaz Böhm auf ein Saatkorn einen durchschnittlichen Ertrag bei Gerste von vier, bei Hafer von sechs, bei Korn von 12,5 und bei Weizen von 11,3 Körnern. Gerste brauchte er für seine Brauerei, den Hafer für die Pferde. Lediglich Korn und Weizen dienten der menschlichen Nahrung, letzterer auch noch für die Herstellung von Weißbier. Der benötigte Hopfen konnte nicht auf den Äckern, die dem Flurzwang unterlagen, gezogen werden. Er gedieh im großen Klostergarten als Sonderkultur.

Hausangestellte – Knechte und Mägde

Die landwirtschaftliche Arbeit war alles andere als romantisch, sie war härteste Schinderei. Es galt im Wald Laub als Einstreu im Stall zu rechen und die zu bestellenden Felder einzuzäunen, damit sich das Weidevieh nicht über die jungen Saaten hermachen konnte. Kilometerlange Märsche über tiefen, schweren Boden und gleichzeitig den Pflug im Boden zu halten, zehrte an den Kräften. Das Aufladen und Verteilen des Mists, die Ernte des Getreides mit der Sichel und später mit der Sense im Takt der Schnitter und der Ausdrusch der Ähren mit dem Flegel waren nicht weniger anstrengend. Heuproduktion, Stallarbeit, Holzeinschlag für Brenn- und Bauholz sowie Reparaturarbeiten kamen noch dazu.

Eine kleine Überschlagsrechnung mag das verdeutlichen: Um ein Tagwerk zu pflügen, musste ein Mann rund 14 Kilometer hinter dem Pflug gehen. Wenn ein Acker im Brachfeld durchschnittlich vier Mal umgebrochen wurde, dann waren das etwa 56 km pro Tag- werk. In einem Brachfeld mit 30 Tagwerk kamen dann schon 1.700 Kilometer zusammen. Und mit einer Geschwindigkeit von vielleicht zwei Stundenkilometern waren das in den eineinhalb Jahren Brache 850 Stunden Arbeit allein zum Pflügen. Das Einebnen mit der Egge kam noch dazu. Das konnte ein Mann allein nicht bewältigen. Mit drei Knechten und dem Bauern selbst war das in ins- gesamt vier Wochen zu schaffen. Dazu benötigte man vier Pflüge und vier Gespanne mit Ochsen und Pferden. Ein gewaltiger Aufwand! Und das Wetter musste auch noch mitspielen.

Ignaz Böhm und seine Nachfolger bewältigten diese Arbeiten auf rund 100 Tagwerk Feld, knapp 40 Tagwerk Wiesen und fast 53 Tagwerk Wald durchwegs mit drei Knechten und zwei Mägden. Dazu kam ein Brauknecht für die Brausaison. Die Dienstboten waren Teil der erweiterten Familie, sie lebten mit dem Brotherrn unter einem Dach und aßen am gleichen Tisch. Im Normalfall verpflichteten sie sich für ein ganzes Jahr, üblich war die Einstandszeit von Lichtmess bis Lichtmess (2. Februar). Neben Kost und Logis erhielten sie einen fest vereinbarten Jahreslohn, der nach Ablauf eines Jahres in einer Summe ausbezahlt wurde. Dennoch konnten sich die Dienstboten im Einzelfall Teilbeträge aus ihrem „Jahresgehalt“ vorschießen lassen; es bedurfte dazu aber eines besonderen Anlasses. So besuchten die Dienstboten regelmäßig die in Neuburg an Georgi (23. April), Jakobi (25. Juni) und Michaeli (29. Sept.), sowie an Nicolai (5./6. Dez.) stattfindenden Jahrmärkte und ließen sich vom Dienstherrn einen Abschlag auf ihr Jahressalär geben. Für diese Märkte gaben sie zwischen 50 und 70 v. H. des gesamten Jahreslohnes aus. Für kleinere Anlässe wie Kirchweihfeste in den Nachbarorten trugen sie ihr Geld in die dortigen Wirtschaften. Manchmal mussten auch Kleidungstücke ergänzt oder ausgebessert werden.

Natürlich arbeiteten der Bauer selbst, seine Frau und die Kinder ab deren früher Jugend im Haus, im Stall und auf den Feldern fleißig mit.

Die Zeit der Ernte war vom Reifegrad und auch von der Witterung abhängig. Da musste alles immer schnell gehen. Zum Getreidemähen, Garbenbinden und -aufstellen, zum Aufladen, Einbringen und Abladen reichten die eigenen Kräfte der Familie mit den Mägden und Knechten oftmals nicht aus. Es mussten Tagelöhner als „Saisonarbeiter“ gedungen werden. Das waren meist Kleinhäusler ohne oder mit geringem Grundbesitz, die sich und ihre Familien mit einem Handwerk (Sattler, Schneider, Schreiner, Weber etc.) und mit dem Taglohn den Lebensunterhalt sicherten. Der Taglohn richtete sich sehr oft nach der Tagesleistung bei der Ernte, war also eine Art Akkordarbeit. Zusätzlich zur Geldzahlung erhielten die Taglöhner für jeden Einsatztag einen Laib Brot.

Die Dienstboten bei Böhm hielten ihre „Arbeitsverträge“ überwiegend ein. Es herrsch- te keine große Fluktuation, ein wiederholtes „Einstehen“ für jeweils ein weiteres Jahr war üblich. Zudem ist auffallend, dass die Böhm ́schen Dienstboten fast immer aus den gleichen Familien aus dem Dorf Bergen kamen. Das bedeutet, dass das Betriebsklima „beim Bräu“ nicht das Schlechteste gewesen sein kann. Trotzdem ist aus den Aufzeichnungen zu erkennen, dass auch eine strenge Hand herrschte. In all den Jahren von 1839 bis 1905 ist nur eine Auseinandersetzung zwischen Dienstboten und Dienstherrn verzeichnet. An einem 28. November – schon nach der Ernte in etwas ruhigerer Zeit – trat der Fuhrknecht Jakob Dunz spontan in der Früh um acht Uhr aus dem Dienst aus. In einer Solidaritätsaktion folgten ihm am nächsten Tag auch sein Bruder Georg als Hausknecht und der „Ochserer“ Lorenz Meier. Johann Baptist Böhm stand auf einen Schlag ohne Knechte da. Ersatz fand sich aber schnell. Nur eine fristlose Entlassung ist belegt. Der Fuhrknecht Joseph Stoll und der Hausknecht wurden von der resoluten Witwe Christine Böhm am Montag den 20. Mai 1895 fristlos entlassen und sofort ausbezahlt, weil sie auf dem Bittgang nach Bittenbrunn den ganzen Tag gesoffen hatten.

Ignaz Böhm – verantwortungsvoller und tragischer „Geschäftsführer“

Ignaz Böhm war die Zeit nach dem Tod seines Vaters sozusagen der Geschäftsführer des Betriebes. Seine Mutter Catharina hatte ihm das Anwesen und Gut nie übergeben. Es liegen zwar zwei (unvollständige) Übergabeverträge im Entwurf vor, zu einer formalen Übergabe kam es jedoch nicht. Bestimmt wäre es dazu gekommen, wenn er eine „Hochzeiterin“ ins Haus gebracht hätte. Eine von Ignaz Angebetete ist aus einem von ihm verfassten Liebesbrief auszumachen. Es war eine junge Frau mit Vornamen Antonia aus Konstein. Er schickte ihr am 7. September 1845 ein Geschenk zusammen mit einem herzlichen Schreiben:

Meine teure Antonia !

Wollte an Kirchweih nach Konstein kommen, aber alle Dienst- boten waren nach Eichstätt ausgeflogen. [Daher mussten er und die Mutter an diesem Tag die ganze Arbeit im Haus erledigen. Er wollte ihr] holdes Antlitz wieder sehen. Sie sind es, die alle meine Gedanken und Träume begleiten und die Vorstellung, welch ein Glück es für mich sein müsste, an der Hand eines solchen holden Mädchens durch das Leben zu wandeln erhebt meinen Geist zu der Sehnsucht zu dessen Ausführung, dass ich Sie rein und heftig liebe, dazu sollen Sie gewiss überzeugend Beweise erhalten.

Ihr mit ganzer Seele ergebener Ignaz Böhm.

Wahrlich ein schöner Heiratsantrag. Die Bemerkung im Schulentlassungs-Zeugnis von Ignaz bei der Rubrik Stil und Aufsatz „sehr gut“ war bestimmt keine Gefälligkeit des Lehrers gewesen.

Zu einer Trauung und damit zu einer Gutsübergabe konnte es nicht mehr kommen. Am 1. Juni 1847 stellte der königliche Landrichter zu Neuburg für Ignaz Böhm einen Reisepass ins „Bad nach Kreuth“ aus. Er muss unter einer schweren Lungenkrankheit gelitten haben.

In Briefen vom 15. und 25. Juni 1847 schilderte Ignaz seine Lage in (Wildbad) Kreuth südlich des Tegernsees. Er schrieb von Husten, Fieber und Blutspucken, bedauerte, dass er keine Bergtour machen könne. Es klingt verzweifelt: Warum schreibt denn der Baptist nicht, warum nicht? Kann er es nicht, hat er es nicht gelernt? Schreibt mir doch auch! Er erkundigte sich: Habt ihr schon gemäht? Wie lassen sich die Ochsen an, die ich vor meiner Abreise gekauft habe? Wie steht es mit dem Futter, wo und wieviel habt Ihr gedüngt? Und er erteilte dem Bruder Baptist den Auftrag, die kleinen Bierfässer reinlich zu brühen und sonst fleißig zu sein. Wie lassen sich die Dienstboten an, ist keiner widerwärtig geworden in der Zeit? Dann schildert er die Kur: Die vorige Woche hat mich furchtbar beim Frack gehabt. Die Molke und der Kräutersaft hat mich so abgeführt, dass ich beinahe das Gehen nicht mehr vermochte. Der Arzt aber meinte, dass das so sein müsse. Er hegte Hoffnung: Das Schnaufen geht schon leichter, jeden Tag geht es besser. Da der Arzt eine Verlängerung über die üblichen drei Wochen hinaus empfahl, rechnete er mit der Entlassung am 7. August. Ignaz Böhm waren nur noch wenige Tage gegönnt. Unmittelbar nach seiner Heimkehr starb er am 10. August zu Hause in Bergen.

Kurz vor Ausbruch seiner schweren Krankheit wollte Ignaz noch das seinem Elternhaus gegenüberliegende Lenzbauernhaus, das Anwesen Nr. 22, kaufen. Der Vertrag war im Entwurf fertig, wurde aber nicht mehr protokolliert. Am 2. September 1847 erwarb seine Mutter das Nachbaranwesen mit Wohnhaus, Stadel, Stall, Hofraum, Gemeindeteilen, sowie 12 Grundstücken zu 1.125 Gulden. Der Verkäufer war der in Ingolstadt ansässige Bäcker Joseph Stollreiter.

2013

Johann Baptist Böhm

 

Johann Baptist Böhm

* 29.8.1827 in Bergen

† 20.9.1874 in Bergen

(Familienarchiv Böhm)

Johann Baptist Böhm ließ sich mit Blick auf die Vorgaben des Übernahmevertrags mit der Brautschau verständlicherweise etwas Zeit. Schließlich fiel seine Wahl auf eine Anna Bauer, deren Herkunft nicht bekannt ist. Ihr Onkel Gregor Grundler (*17.11.1779 in Oberviechtach) war Domkapitular in Regensburg und seit 1840 Direktor der bischöflichen Kanzlei. An diesen wandte sich Johann Bap- tist Böhm am 9. März 1853 und bat um dessen Zustimmung zu der beabsichtigten Heirat. Vielleicht hoffte Johann Baptist dabei auf eine großzügige finanzielle Hilfe durch den hohen Geistlichen. Der kirchliche Würdenträger antwortete schnell. Er meinte, dass er sich nicht anmaßen [könne], seine Nichte an irgendeiner ehelichen Verbindung zu hindern, indem ihre wirkliche Mutter noch am Leben ist. Weiter betonte er: Indessen muss ich Sie auf einen Umstand aufmerksam machen, der Ihnen jedoch ohnehin bekannt sein wird, dass nämlich meine Nichte arm ist, und dass ihre Mutter ihr dermalen nichts geben kann, und dass sie bei einstiger Übergabe des elterlichen Vermögens keine großen Anteile zu hoffen hat. Sie hätte für das Anwesen, das Böhm besitzt, nicht Vermögen genug, schrieb
er weiter. Er selbst könne ihr auch nicht zur Seite stehen, weil er seine eigenen Mittel für das Alter, mögliche Krankheitsfälle und eventuelle Pflege zurückbehalten müsse und noch nichts weitergeben könne. Sollte Johann Baptist seine Nichte Anna Bauer trotzdem heiraten, so wolle er seinem Vorhaben den Segen des allgütigen Gottes in vollem Maße […] wünschen. Mit dem in Aussicht gestellten Segen allein war Johann Baptist nicht zufrieden. Er nahm Abstand von dieser Ehe und heiratete eine andere Frau mit einer besseren Mitgift. Es war die 1827 geborene Müllertochter Christine Prüglmair aus der Hammerlmühle in Rain am Lech. Dabei ging Johann Baptist auf Nummer sicher und ließ sich vom Magistrat der Stadt Rain am 16. Juli 1854 ein Vermögens- und Leumundszeugnis über Christine Prüglmair ausstellen. Darin bestätigte der Magistrat Christine einen ein- wandfreien Lebenswandel und dass die Mutter und Müllerwitwe Maria Sabina Prüglmair eine bare Mitgift von 4.000 Gulden sowie eine standesgemäße Aussteuer zugesichert habe. Diesem Ehebündnis stand nun nichts mehr im Weg.

Die Hochzeit fand am 29. August 1854, dem 27. Geburtstag von Johann Baptist, in Bergen statt. Hochzeitstermine im Sommer waren zwar wegen der großen Belastungen bei der Ernte nicht üblich, in diesem Fall war die Ernte sicher schon vorbei und der Geburtstag mag ein weiterer Grund zum Feiern gewesen sein.

Noch kurz vor der Hochzeit hatte Johann Baptist am 10. Juli 1854 die Ära des Studienseminars Neuburg als Obereigentümer seiner Anwesen beendet. Er hatte dazu den 25-fachen Betrag des bisher zu leistenden „Lehenbodenzinses“ für das Anwesen Nr. 3 und den Wald zu zahlen. Das machte in der Summe 58 Gulden und 57 1⁄2 Kreuzer. Für die Äcker war der 20-fache Betrag (30 Gulden 52 Kreuzer 4 Heller) und für das Anwesen Nr. 22, den Lenzenhof, aus Hofrait und Garten ebenfalls der 20-fache Betrag fällig. Die Ablösesumme betrug insgesamt 93 Gulden 55 Kreuzer. Damit war Böhm von den Abgaben an die Seminaradministration befreit. Seinen Besitz konnte Johann Baptist nun als wirkliches Eigentum in die Ehe einbringen.

Christine Prüglmair im Alter von etwa sechs Jahren

(Familienarchiv Böhm)

Titelbild auf einer Glückwunschkarte zur Hochzeit für Johann Baptist und seine Frau Christine Böhm

(Familienarchiv Böhm)

Nach dem frühen Tod des hoffnungsvollen Ignaz musste der erst 20-jährige Johann Baptist die Verantwortung auf dem Hof und in der Brauerei übernehmen. Die schon betagte Mutter beeilte sich, das Gut offiziell und rechtlich gesichert in die Hände ihres zweiten Sohnes zu legen. Am 6. November 1847 übergab sie, schon von schwerer Krankheit gezeichnet, an den noch ledigen Johann Baptist für eine Summe von 18.000 Gulden. Die Übergabe erfolgte in der Krankenstube der Mutter in Bergen. Die Kommission unter Leitung des Landgerichtsaktuars Lautenschlager überzeugte sich von den gesunden Verstandskräften der Catharina Böhm und formulierte das Protokoll. Neben dem Hauptanwesen wurde auch das Haus Nr. 22 an Johann Baptist zum Eigentum vererbt. Jedoch sollte es bis zum Tod der Mutter zur Gänze als deren Behausung und Wohnung dienen.

Zum Lebensunterhalt griff Catharina Böhm auf den Vertrag ihrer Schwiegermutter von 1800 zurück und wollte dessen Vereinbarungen auch auf sich angewandt wissen. Die Bedingungen über die Verwendung des „Kauf“-Preises von 18.000 Gulden wurden detailliert aufgeführt. Der Übernehmer konnte von der zu leistenden Übergabesumme als Heiratsgut 4.000 Gulden behalten, die Übergeberin erhielt 2.000 Gulden. Die noch im Haus lebende Theresia (†1888), ledige Schwägerin der Übergeberin, sollte daraus 4.000 Gulden Heiratsgut erhalten. Die verheiratete Schwester des Übernehmers, Creszenz Fischer, sollte noch 2.000 Gulden von dem noch nicht ganz ausbezahlten Heiratsgut bekommen, ebenfalls die in Kipfenberg verheiratete Schwester Anna Sayle 2.000 Gulden, und schließlich sollte die noch ledige Schwester Walburga 4.000 Gulden als ein ganzes Heiratsgut erhalten. Diese Summen waren selbst für ein Anwesen dieser Größe nicht ohne Beeinträchtigung aufzubringen. Daher wurde bestimmt, dass diese Gelder erst nach der Verehelichung von Johann Baptist gefordert werden konnten. Hier hoffte man auf die reiche Mitgift einer zukünftigen Frau, aus der die Gläubiger befriedigt werden konnten.
Nach der Übernahme erteilte auch das königliche Landgericht Neuburg am 27. September 1848 die gewerbspolizeiliche Erlaubnis zur Ausübung der realen Bierbrauergerechtsame nachdem er [Johann Baptist Böhm] den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen genügt.
Johann Baptist Böhm hatte nun alle Voraussetzungen in der Hand. Allerdings hing noch das Damoklesschwert der Einberufung zum Militär über dem jungen Bräu und Landwirt. Am 5. Februar 1850 musste er sich der Musterungskommission in Neuburg stellen. Sie stellte fest: Größe 5 Schuh 10 Zoll [1,75 m], dunkle Haare, hohe Stirn, graue Augen, breite Nase, proportionierter Mund, schwarzer Bart, längliche Gesichtsform, gesunde Gesichtsfarbe und untersetzter Körperbau. Als besonderes Merkmal attestierte die Musterungskommission ein gegenüber dem linken ein verkleinertes rechtes Auge. Deshalb wurde Johann Baptist zum Dienst in die Armee wegen physischer Untauglichkeit nicht eingereiht. Da wird der untaugliche Johann Baptist aber unglücklich und traurig gewesen sein!

Christine Böhm (geborene Prüglmair)

* 15.10.1827 in Rain am Lech

† 2.9.1900 in Bergen

(Familienarchiv Böhm)

Wie seine Vorfahren, so suchte auch Johann Baptist seinen Besitz zu mehren. Die Möglichkeiten waren zwar nicht mehr so umfangreich wie zu Zeiten des Umbruchs nach der Säkularisation, dennoch konnte er weiter zukaufen. So erwarb er am 20. August 1862 vom Bäcker Josef Riedelsheimer, der nach Bergheim „auswanderte“, das Haus Nr. 55. Dazu gehörten neben Wohnhaus, Stadel, Kuh-, Schaf-, Schweine- und Pferdestall noch Äcker in der Größe von rund neun Tagwerk sowie etwas mehr als sieben Tagwerk Wiesen. Dazu kam ein weiterer Gemeindeteil an den unverteilten Gründen. Der Kaufpreis betrug 3.900 Gulden, die der Verkäufer zur Schuldentilgung verwenden musste. Josef Riedelsheimer verkaufte demnach nicht ganz freiwillig. Im Austragshäuschen, das zum veräußerten Haus gehörte, musste für Riedelsheimers sechs Schwestern – Marianne, Theresia, Veronika, Karoline, Walburga und Franziska – sowie für Karolines unehelichen Sohn das Wohnrecht eingeräumt werden. Das galt lebenslänglich für den ledigen Stand der Berechtigten. Das Austragshäuschen hatte deshalb der Verkäufer in baulich und wohnlich gutem Zustand zu halten. Die Wohnberechtigten durften den Wurzgarten, der an das Austragshäuschen anschloss, nutzen. Am 31. März 1864 erwarb Johann Baptist von Simon Schiele zwei Tagwerk und drei Dezimal Holz.

Mit der von seinem Vater zusätzlich erworbenen Taferngerechtigkeit gab es immer wieder Probleme. Im kleineren, gegenüber liegenden Haus Nr. 22 befanden sich die Stallungen für die Pferde der Gäste. Das irritierte die Behörden, weil auf dem Haus 22 keine Taferngerechtigkeit lag und dort trotzdem ein Teil der Taferngerechtsame, nämlich das Unterbringungsrecht, ausgeübt wurde. Die Gemeindeverwaltung von Bergen sah in dieser Handhabung kein Problem, da Böhm beide Gerechtsame versteuerte und es nicht auseinander gehalten werden konnte, welches der beiden Rechte er im Einzelfall nutzte. Die Unterbringung der Gastpferde im Haus 22 wurde schließlich geduldet.

Eine geraume Zeit widmete sich Johann Baptist zusätzlich der Pferdezucht. Die von ihm gezogenen Pferde waren anerkannte und prämierte Halbblüter. Mit seinem Ableben ging der neue Erwerbszweig wieder ein.

Wie seinem Bruder Ignaz war auch Johann Baptist Böhm kein langes Leben beschieden. Er starb am 20. September 1874 im Alter von 47 Jahren. Sein ältester Sohn Georg war damals 19 Jahre und der jüngere Alfons gerade zehn Jahre alt. Das mag der Grund gewesen sein, dass die Witwe Christine noch nicht übergeben und den Betrieb allein weiterführen wollte. Vor dem Notar in Neuburg ließ sie sich das Alleineigentum mit Zustimmung des Vormundes ihrer fünf minderjährigen Kinder Georg, Johann Baptist, Ignaz, Josef und Alfons bestätigen. Mit den Kindern einigte sie sich über das verbliebene Aktivkapital von 66.898 Gulden. Bei der Aufzählung der Immobilien fällt auf, dass zum Haus Nr. 3 schon ein Dreschmaschinenhaus gehörte. Das Ausdreschen des Korns mit dem Flegel war Vergangenheit. Jedem ihrer Kinder zeichnete sie 5.000 Gulden Vatergut aus, das bis zur jeweiligen Volljährigkeit unverzinslich bei der Mutter blieb. Anschließend musste es mit 4 v. H. verzinst werden. Nach vierteljähriger Kündigung war es auszubezahlen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Mutter, ihre fünf Kinder bis zur Volljährigkeit zu erziehen, vollständig zu verpflegen und zu verköstigen. Bis zur Standesveränderung, d. h. bis zu deren Verehelichung hatten alle unentgeltliches Wohnrecht im elterlichen Anwesen. Die Praxis zeigte, dass da- mit auch die Verpflichtung zur Arbeit verbunden war, denn Christine sparte sich in dieser Zeit männliche Dienstboten. Das Vormundschaftsgericht genehmigte diesen Vertrag am 12. November 1874. Die behördliche Genehmigung zur weiteren Ausübung der Taferngerechtsame erhielt sie am 15. Februar 1875.

Christine Böhm erweiterte den Immobilienbesitz durch den Kauf einer großen Wiese mit mehr als zwei Tagwerk. Damit konnte der Viehbestand am Hof vergrößert werden. Und am 5. April 1882 erwarb sie nochmals einen kleinen Acker mit 780 m2 für 930 Mark aus dem Anwesen Haus 50. Zuletzt erwarb ihr Sohn Alfons am 21. März 1895 vom Schneidermeister Thomas Schiele, der nach Ellingen verzog, für 1.008 Mark das Anwesen Nr. 23 in Bergen mit 1,498 ha Feld und 0,157 ha Wald. Christine schaffte es nicht, die Verantwortung für ihren Besitz abzugeben. So kam es, dass ihr ältester Sohn Georg am 10. April 1894 mit 39 Jahren die 37-jährige Witwe Franziska Kirchbaur aus Bittenbrunn heiratete. Georg führte dort verantwortlich die große Landwirtschaft und die Brauerei seiner Frau. Die Söhne Johann, Ignaz und Josef blieben hingegen ledig und am elterlichen Hof. Johann Baptist starb 1902, Ignaz 1903 und Josef 1921. Sie leisteten ihrer Mutter und später ihrem Bruder Alfons qualifizierte Hilfestellung in der Brauerei und in der Landwirtschaft. Nur der jüngste Sohn Alfons trat vor den Traualtar und führte die Familientradition fort.

Alfons Böhm

Retter der „Dynastie“ und Bauherr

 

 

Es sieht fast so aus, als ob Christine Böhm im Witwenstand keine weitere Frau im Haus dulden wollte. Von ihren fünf Söhnen ging Georg – im fortgeschrittenen Alter von 39 Jahren – nach Bittenbrunn, drei Söhne blieben ledig und wohnten weiter im Haus. Lediglich Alfons nahm sich in einer Zeit, als seine Mutter schon krank, schwach und bettlägerig war, eine Frau. Er fand sie in der Verwandtschaft seines angeheirateten Onkels, des Posthalters Johann Sayle aus Kipfenberg. Sie hieß Anna und kam aus der Familie des Essig- und Likörfabrikanten Otto Sayle in Ingolstadt.

Die Verlobung fand – wohl im kleinsten Kreis – am 25. Oktober 1898 statt. Mutter Christine trennte sich endlich von ihrem Anwesen zu Gunsten ihres heiratswilligen Sohnes. Der Übergabevertrag wurde am 9. November 1899 im Beisein von Alfons und seiner Braut Anna notariell besiegelt. Das Ganze fand im Zimmer der Übergeberin in Bergen statt. Christine Böhm war nicht mehr mobil, daher kam der Notar ins Haus. An Immobilien wurden übergeben: das Wohnhaus Nr. 3 mit Keller, angebautem Waschhaus, Stallungen, Stadel, Wagenremise, Dreschmaschinenhaus, Schweineställen und Kegelbahn. Dazu kam das Kellerhaus mit dem Sommerkeller. An Feld- und Wiesenflächen wurden 57,026 ha und der Gemarkung Hütting 3,694 ha Wald übergeben. Dazu kam das Fischrecht im Klosterweiher und in dessen Zuflüssen. Zum Anwesen Nr. 22 gehörten Wohnhaus, Backofen, Hofraum sowie Äcker und Wiesen zu 0,715 ha. Das Haus Nr. 55 umfasste mit Wohnhaus, Hofraum, Schweineställen sowie dem Stallvorplatz mit Dungstätte insgesamt 5,194 ha. Zu den Anwesen gehörten drei Gemeinderechte. Alle zur Brauerei und Landwirtschaft gehörigen Gerätschaften, Einrichtungen, Werkzeuge, alles lebende und tote Vieh durften Sohn Alfons und seine Braut als gemeinschaftliches Eigentum im Gesamtwert von 47.999 Mark übernehmen. Die übergebende Mutter haftete nicht für die bauliche Beschaffenheit, die Ertragsfähigkeit der Böden, die angegebenen Flächengrößen und die Freiheit von Lasten. Die Nutzung erfolgte – wohl bedingt durch den Gesundheitszustand der Mutter – bereits vor der Vertragsunterzeichnung. Der Übergabepreis wurde mit 20.000 Mark festgelegt. Die drei ledigen Brüder des Übernehmers erhielten einen Gesamtbetrag von 25.714 Mark und 28 Pfennigen. Dieser Betrag musste verzinst werden. Der verheiratete Georg war bereits abgefunden worden.

Wie sich der Übergabepreis zusammensetzte, wurde detailliert festgelegt. Die übergebende Mutter bekam eine kleine Summe, aber wichtiger war für sie auf Lebenszeit vollständige Morgen-, Mittag- und Abendkost wie es dem Alters- und Gesundheitsverhältnis entspricht am gemeinsamen Tisch der Übernehmer, eventuell zur Verabreichung in ihrem zur Wohnung vorbehaltenen Zimmer. Es ist zu waschen und zu flicken, im Alter und Krankheitsfall zu warten und pflegen. Zur Wohnung beanspruchte sie das von ihr bereits belegte Zimmer mit der anstoßenden Kammer im oberen Stock. Die drei Brüder erhielten, so lange sie ledig blieben, das unentgeltliche Wohnrecht im Haus 22. Hinterlassen hat Christine dem Übernehmer kein Vermögen. Lediglich Schuldscheine habe sie ihm geschenkt, meinte Alfons. Der Vater hatte an sechs Geschwister je 4.000 Gulden aus- zahlen müssen, d. h. die Eltern hatten in den ersten Jahrzehnten nur Schulden zu tilgen gehabt. Neben 10.000 Mark Aufwendungen für die Verwandtschaft waren auch an Sohn Georg bei dessen Heirat 12.000 Mark gegeben worden. Alle anderen Kinder waren auch abzufinden, so dass Alfons zwar nichts unmittelbar auszubezahlen hatte, es standen aber am 21. Mai 1915 rentamtlich bestätigte Forderungen von 43.432 Mark an.

 

Heiratsanzeige von Alfons Böhm und Anna Sayle

(Familienarchiv Böhm)

Familie Böhm mit allen Dienstboten, Taglöhnern und Braugehilfen vor ihrem Haus

Anna und Alfons Böhm im rechten Drittel, davor steht Tochter Anna, rechts von Alfons Böhm wohl sein Bruder Josef und anschließend Bruder Georg mit Frau Franziska, geb. Stoll, verw. Kirchbaur. Links neben Anna Böhm eine Kindsmagd mit dem kleinen Alfons auf dem Arm. Etwas dahinter dürfte Rosina Schäffler, die Tante von Anna Böhm, sein, die sehr oft in Bergen mithalf. Die Aufnahme dürfte im Frühjahr 1907 entstanden sein. Die Brauknechte halten Bierkrüge in der Hand, die Knechte tragen Schürzen. An das Wirts- und Wohn- haus angebaut – mit niedrigerem First – das Brauhaus. Hinter dem Tor links des Wohnhauses verbirgt sich der Dunghaufen, dahinter ist der Kuhstall mit einem kleinen Teil der Traufe erkennbar. (Familienarchiv Böhm)

 

Bruder Johann Baptist starb am 27. Mai 1902. Ein Monat später einigten sich die üb- rigen Brüder, dass jeder vom Hoferben 3.000 Mark aus dem Vatergut erhalten solle. Georg erhielt den Betrag noch im Notariat in bar, für die ledigen, am Hof lebenden Brüder wurde der Betrag von Alfons zu vier Prozent verzinst. Nach dem Tod des Bruders Ignaz einigten sich die drei verbliebenen Brüder am 13. Januar

1904 in einem freiwilligen Erbvertrag. Alfons zahlte an Georg in Bittenbrunn und an den noch im Haus lebenden Josef je 5.000 Mark und erhielt dafür alle beweglichen und unbeweg- lichen Sachen des Ignaz. Nun war das Erbe endgültig abgewickelt. Die erbrecht- lichen Ausgleiche der Brü- der gingen einvernehmlich und einigermaßen gerecht

vonstatten. Das hätte sicher auch andere Formen annehmen können. Durch Vernunft wurde der Familienbesitz erhalten, aber auch weichende Erben kamen nicht zu kurz.

Alfons Böhm und die knapp 24-jährige Anna Sayle heirateten am 15. Januar 1900 in Ingolstadt. Die Braut hielt dazu in einem Tagebucheintrag fest:

Unsere Hochzeit fand am 15. Januar 1900 statt; um 1/2 9 Uhr wurden wir auf dem Stan- desamt durch den Standesbeamten Jakob Kroher rechtskundiger Bürgermeister von In- golstadt civilehelich verbunden, Zeugen waren Schwager Georg Böhm, Brauereibesitzer in Bittenbrunn und Schwager Heinrich Wirthensohn z. Z. Bahnadjunkt in Vorra. Die kirchli- che Trauung war um 10 Uhr in St. Moritz u. wurde von Herrn Geistlichen Rat Werthmül- ler vollzogen, unter Anwesenheit der beiden oben erwähnten Zeugen und folgender vier Brautjungfern: Jetty u. Klara Fellermeyer, Anna Maier, diese Cousinen von mir u. meiner Schwester Jakobine. Außer den Angeführten waren anwesend meine Mutter Marie Sayle, mein Bruder Josef, meine Schwester Bertha Wirthensohn, Tante Rosina Schäffler, Priva- tiere in Augsburg. Zum Festmahle fanden sich außerdem noch ein, Herr Stadtpfarrkaplan Donaubauer, Cousine Marie Fellermeyer, Herr Postexpediteur Meyer, Bräutigam meiner Cousine Anna Maier und nachmittags Herr Geistlicher Rat Werthmüller.

Um 6 Uhr abends verließen wir unsere lieben Gäste, um mit dem Münchner Schnellzuge, um 6 Uhr 54 Mt. unsere Hochzeitsreise anzutreten, die uns einen Tag nach München, einen nach Augsburg und einen nach Meitingen führte. Am 19. Januar hielten wir als Neu- vermählte unseren Einzug in das liebe Heim. Das Mahl, das beim Tafelmeierbräu in Ingol- stadt, Verwandten von uns, stattfand, bestand in folgenden Gängen: Abgebräunte und gebackene Grießklößchen, Hecht blau abgesotten mit Petersilienkartoffeln, Rindfleisch mit Preiselbeeren, eingemachten Gurken und Blumenkohl in Buttersauce, Rehbraten mit Butterpastetchen, Spanferkel mit Kartoffel- und Feldsalat, Torten und sonstige Süßig- keiten, Kaffee und Kuchen. Getränke: Weiß- und roter Wein und Bier.

 

Diese üppige Hochzeitsfeier entsprach ge- hobenen bürgerlich-städtischen Gepflogen– heiten. Eine Hochzeitsreise war damals auch noch nicht an der Tagesordnung. Doch auch Bauernhochzeiten waren nicht weniger ge- haltvoll, wie sie Anna Böhm am 12. Novem- ber 1900 in Bergen als „Standard-Hochzeits- essen“ anbot. Es setzte sich zusammen aus:

Mittag:

Nudelsuppe und pro Person 1 Bratwurst;

Voressen in saurer Brühe oder Gansjung im Herbst;

Rindfleisch – pro Person ein 3/4 bis 1 Pfund, dazu Senf und Rannen;

Schweinefleisch mit Sauerkraut, 1/2 Pfund pro Person, im Sommer Kohlrabi;

Kalbsbraten mit Salat zu 3/4 bis 1 Pfund pro Person oder Gansviertel je nach der Zeit;

Torte.

 

Abend:

Reissuppe, pro Person 1 Bratwurst; Rindfleisch in süßer Brühe; Leber- und Blutwürste, je eine pro Person; Sulz; Zwetschgen mit Semmelschnitten, mit der Brühe angefeuchtet; Schweinebraten mit Salat, 3/4 bis 1 Pfund pro Person; zu jeder Mahlzeit 1 Brot, das zum Anlass gebacken wird; Bier bis zum Abendessen frei, dann noch eine Maß. Kosten 6,50 Mark.

 

Hungrig ist hier niemand mehr aufgestanden und das im Preis inbegriffene Bier wird seine Wirkung nicht verfehlt haben.

Die Jungvermählten, Alfons und Anna, gingen am 21. Mai zum Notar und schlossen einen Ehe- und Erbvertrag auf der Grundlage des gerade in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches. Darin vereinbarten sie Gütergemeinschaft, die Verwaltung des Gesamtgutes stand aber nur dem Ehemann zu. Eine Frau war eben noch nicht geschäftsfähig. Beim Ableben eines Ehepartners sollte der Überlebende verpflichtet sein, das alleinige Erbe zu übernehmen. Zuletzt wurde bei gemeinsamen Kindern deren Erbteil bestimmt. Wie die finanzielle Abwicklung einer Heirats– abmachung vor gut 100 Jahren stattfand, schildert Anna Böhm, geb. Sayle, selbst sehr anschaulich:

Mein eingebrachtes Vermögen betrug 20.000 Mark, welche ich am Abend des 9. Nov. 1899, dem Protokolltage, meinem zukünftigen Manne Alfons Böhm übergab. 19.183 Mark war uns von zuhause ausgemacht, das Übrige legte ich von meinem Zins drauf. Außerdem bekam ich 1.899 Mark im Juli, von Tante Rosina Schäffler 2.000 Mark, von meinem am 15. Dez. 1899 verstorbenen Onkel Anton Sayle erbte ich 1.600 Mark.

Die Hochzeitsgeschenke erlauben einen kleinen Einblick in die Wohnverhältnisse und die Ausstattung eher bürgerlicher Haushalte um 1900, aber auch in die Verwandtschaftsverhältnisse. Darunter befanden sich neben Geld ein blassgrüner Weinkrug aus Glas mit goldenem Dekor, ein silbergefasster Perlmuttrosenkranz, verschiedene silberne Löffel für Gemüse und Kaffeetafel, ein silbernes, mehrteiliges Besteck, ein Serviertischchen, ein Tafelaufsatz mit Milchglas-Schalen, ein Kleiderständer, Sofakissen mit Stickereien, ein Früchtekörbchen aus grünrotem Glas, ein sechsteiliges Speiseservice in Rokokoform mit gemalten Blumen, ein mit Plüsch überzogener Fußschemel, ein Weihwasserkesselchen in Form eines behütenden Engels, ein Gebetbuch und ein selbstgehäkelter Unterrock von weißer Wolle mit himmelblauen Streifen.

Die „Flitterwochen“ waren nach drei Tagen Hochzeitsreise vorbei, der Pfarrer hatte das Schlafzimmer eingesegnet und der Alltag begann mit den normalen Aufgaben.

Anna Böhm schrieb in ihren Erinnerungen bis zu ihrem Lebensende viele Einzelheiten auf. Der Tod der Schwiegermutter am 2. September 1900, also noch im Jahr ihrer Eheschließung, war ihr aber keine Notiz wert. Sollte das ihre Zuneigung ausdrücken?

Ab April 1909 begannen große Umbau- und Renovierungsarbeiten am Wohnhaus und an den Ökonomiegebäuden. Das Gastzimmer erhielt statt eines Steinbelags einen hölzernen Riemenboden, die Wand verkleidete eine mannshohe Lamperie (Vertäfelung) mit entlanglaufenden Bänken. Neue Türstöcke und ein Wandschränkchen machten den Raum behaglicher und „wärmer“. Fortschrittlich blies ein Ventilator den Rauch aus der Gaststube ins Freie. Gleich danach gruppierten Böhms die Ställe um, um mehr Platz für die Rinder zu schaffen. Sie setzten dort neue Futterbarren und pflasterten die Böden mit Klinker.

Im Frühjahr 1910 ergriff man, als die Scheune und der Kuhstall des nahegelegenen Forsthofes abgebrochen wurden, die Gelegenheit beim Schopf. Das Abbruchmaterial, Steine, Dachtaschen und Eichensäulen bildeten das Material für eine neue Remise. Lediglich der Dachstuhl wurde aus neuem Holz gezimmert. 1910 bis 1911 kam die Wasserleitung ins Haus und versorgte auch die Waschküche mit einer Badegelegenheit. 1914 wollte man ganz modern sein: Der gute Kalkputz der Hausfassade wurde durch einen Zementputz ersetzt, dem man nachhaltigere Eigenschaften zumaß. Seither umrahmen und zieren Putzfaschen die Fenster.

1921 errichtete Alfons Böhm Futterräume für den Kuhstall und unter diesem eine große Odel-(Jauche-)Grube. In diesem Zusammenhang verschwand der Misthaufen unmittelbar vor der Küche. Er kam nach rückwärts in den Hof. Der Platz erhielt einen Springbrunnen und diente nun als kleiner und gemütlicher Biergarten.

Großes Glück hatten das Haus und möglicherweise auch das Dorf, als am Morgen des 17. Februar 1910 gegen acht Uhr durch einen Defekt am Kamin in der Malzdarre ein Balken eines Bodendurchzugs zu brennen begonnen hatte. Der Brand wurde sofort entdeckt und konnte ohne fremde Hilfe gelöscht werden.

Der Erste Weltkrieg

 

Wenn auch die Heimat im Ersten Weltkrieg nicht unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen wurde, so griff das Militär doch stark in die wirtschaftlichen Strukturen ein. Bereits zwei Tage nach der Kriegserklärung an Russland am 1. August 1914 musste Alfons Böhm zwei Pferde abliefern, ein schweres als Zugpferd und ein leichtes für die Kavallerie. Das war während der Erntezeit nicht einfach. Am 7. Oktober wurde ein weiteres Pferd „eingezogen“ und am 11. November ein viertes. Dazu mussten ein guter Leiterwagen (Fuhrwerk), Säcke, Stricke, eine Laterne und eine Schmierbüchse abgeliefert werden. Wenn auch der Bauer selbst wegen seines Alters und seiner Verantwortung für das Gut nicht zu den Waffen musste, so traf es zwei Knechte. Der Schnitter Josef Hell rückte am 13. August 1914 ein, ab dem 21. Oktober galt er als vermisst. Im Januar 1915 musste auch noch Knecht Mödl zum Militär. Neue Knechte waren nicht verfügbar, der Krieg verzehrte die Männer. Daher bekam Alfons Böhm am 14. März 1916 zur Frühjahrsbestellung vier französische Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz zugewiesen. Alphonse Rilland, Felix Farhon und Clavie Elouis fühlten sich in Bergen wohl und erfuhren auch eine gute Behandlung. Lediglich Marcus Raux musste wegen eigensinnigen Verhaltens am 15. Oktober 1916 umgetauscht werden. Dafür kam Albert Piat. Am 18. Dezember 1918 konnten die Kriegsgefangenen in ihre Heimat zurückkehren. Die Familie Böhm stand mit „ihren“ Franzosen, die in Bergen gut und fleißig mitgearbeitet hatten, noch viele Jahre in brieflichem Kontakt. In einem Brief äußerte sich einer der ehemaligen Gefangenen, dass es auch in Deutschland anständige Menschen gebe.

 

Französische Kriegsgefangene in Bergen vor dem Haus Böhm

Die drei heiteren Männer rechts waren bei der Familie Böhm beschäftigt. Es sind von rechts: Felix, Clavie und mit der Flasche Alphonse. Sie machen nicht den Eindruck als würden sie schlecht behandelt worden sein. Zumindest herrschte für sie hier kein Krieg und keine Lebensgefahr. (Familienarchiv Böhm)

Anna Böhm – Wohltäterin der Kirche oder Undank ist der Welten Lohn

 

Anna Böhm etwa in den 1920-er Jahren

Es war die Zeit der Auseinandersetzungen mit Pfarrer Rieder. (Familienarchiv Böhm)

 

Bald nach Amtsantritt eines neuen Pfarrers in Bergen am 2. Februar 1904 wurde Anna Böhm zu einer großen Förderin der Pfarrkirche. Ab dem 17. Oktober 1904 ermöglichte sie mit nicht unerheblichen Geldmitteln Anschaffungen der Kirchenverwaltung. Für die große Fahne mit dem Bild des Bergener Kreuzpartikels gab sie 130 Mark, für einen ewigen Jahrtag 500 Mark, für die Reparatur des Kreuzpartikels 83 Mark, für ein vergoldetes Kreuz auf dem Altar in der Krypta 130 Mark, für das Heilige Grab 300 Mark. Zuletzt spendete sie 1907 für ein violettes Kanzel- tuch 30 Mark. Insgesamt machten ihre Spenden fast 1.200 Mark aus, ein wahres Vermö- gen. Im Jahr 1912 gab sie dann noch einmal 500 Mark für die Anschaffung der 26 Zentner schweren Kreuzglocke. Alle diese großzü- gigen Spenden halfen nichts, Anna Böhm fiel beim Pfarrer 1913 trotzdem in Ungnade.

Begonnen hatte alles mit einem Prozess, den die Gemeinde mit dem Forstamt führte. Der Pfarrer ergriff vehement Partei für die Gemeinde und verwies daraufhin den ortsansässigen Förster von seinem angestammten Platz auf der Orgelempore. Der Förster betrat danach die Kirche nie wieder und blieb bei Gottesdiensten vor der Tür stehen. Dann kam das Unheil über unser Haus, schrieb Anna

Böhm: Am 12. Juli 1913 war eine Zeugenvernehmung in unserer Wirtschaft. Bei dieser Gelegenheit saß eine Gesellschaft beisammen. Auch der Straßenwärter Hermann von hier war dabei. Herrmann war ein gerader, offener Mensch, der in der Gemeinde nichts verheimlicht haben wollte. Dieser Herrmann soll den Pfarrer im Gastzimmer lautstark kritisiert haben, was bei offenem Fenster auf der Straße zu hören war. Dem Pfarrer wurde das wohl hintertragen. Am Tag darauf verweiger- te dieser der bei der Ernte helfenden Rosina Schäffler, der Tante von Anna Böhm, die Kommunion. Die fromme Frau musste nun täglich nach Hütting zum Gottesdienst gehen. Erst eine Beschwerde beim Ordinariat in Eichstätt führte zu einer Maßregelung des Geistlichen und Tante Rosina bekam die Eucharistie wieder gereicht. Der beleidigte Pfarrer begann jetzt damit, den Wirtsleuten Böhm jahrelang zu schaden, wo er nur konnte. Und das gelang ihm, denn in der damaligen Zeit saß ein kirchlicher Würdenträger immer am längeren Hebel. Das reichte von Diskriminierung und Rufschädigung im Dorf – sogar von der Kanzel herunter – bis hin zu wirtschaftlicher Schädigung.

In der Zeit der Zwangsbewirtschaftung von Nahrungsmitteln nach dem Ersten Weltkrieg hatte Alfons Böhm auf eine Intervention des Geistlichen 30 Zentner mehr an Getreide abzuliefern als vergleichbare Landwirte. Die Steuerfahndung war öfter „Gast“ im Hause Böhm. Es wurde vermutet, dass der Pfarrer den Anstoß auch dazu gegeben hatte. Dies führte am 27. Mai 1921 zur Verurteilung von Alfons Böhm zu einer Geldstrafe von 2.380 Mark. Ihm wurde vorgeworfen, 1920 von den geernteten 23,84 Zentnern Roggen und 101 Zentnern Weizen – Saatgut und Selbstbehalt waren dabei schon abgezogen – keinen Roggen und nur 30 Zentner Weizen abgeliefert zu haben. Tatsächlich hätte er von den insge- samt geernteten 163 Zentnern Weizen 101 abliefern müssen. Zu seiner Verteidigung gab er an, die Arbeiter hätten gedroht, ihn im Stich zu lassen, wenn er ihnen nicht 10 Zentner geben würde. 20 Zentner habe er durch unerlaubt freilaufendes Geflügel verloren, 10 Zentner wären beim Ährenlesen gestohlen worden und 9 Zentner habe er einem Landwirt in Hütting geben müssen, weil dieser eine Saatgutkarte ausgestellt bekommen habe.

 

Die erste Einlassung wurde vom Gericht wegen der damaligen wirtschaftlichen Situation als eine Art Notwehr akzeptiert. Auch der Hüttinger Ökonom durfte das Saatgut bei Böhm beziehen. Die Angaben zu den Geflügel- und Diebsverlusten wurden nicht hinterfragt. Zweifellos habe Böhm aber 10 Zentner beiseitegeschafft, die er an verschiedene Personen und Einrichtungen veräußert habe, so an die Elisabethinerinnen in Neuburg. Nach diesen 10 Zentnern wurde die Strafe bemessen. Der Zentner Weizen kostete damals 79,25 Mark. Den dreifache Wert musste er als Strafe bezahlen.

Es stand die Drohung im Raum, Anna Böhm den Kirchenstuhl zu sperren. Sie ging daraufhin nicht mehr in die Kirche und beschwerte sich beim Kultusministerium. Eine Vermittlung mit dem Ziel der Versöhnung hatte keine dauerhafte Wirkung. Die herabsetzenden Nadelstiche währten noch bis in das Jahr 1931, als Pfarrer Rieder Dekan in Wemding wurde und Bergen verließ.

 

Neubau der Brauerei – die Witwe modernisiert

Mitten in der Zeit der Auseinandersetzungen mit dem Pfarrer starb am 28. März 1926 ganz plötzlich Alfons Böhm an einem Schlaganfall; Anna stand mit ihrem großen Anwesen allein da. Ihre Söhne Alfons und Otto waren erst 19 und 14 Jahre alt und hatten ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen. So ergriff die resolute Witwe die Initiative.

Die alte Brauerei war nicht mehr auf dem Stand der Technik. Daher entschloss sie sich – wohl auf Anraten ihres Braumeisters – im März 1927, die alte Braustätte abzubrechen und neu aufzubauen. Daserstaunt nach der Hyperinflation des Jahres 1923, geschah aber noch rechtzeitig vor der Weltwirtschaftskrise. Regionale Handwerker arbeiteten zügig und ordentlich, die neue Einrichtung für Brauerei und Mälzerei lieferte eine Freisinger Firma. Eine Kühlanlage ersetzte die bisher übliche Eiskühlung und ermöglichte nun ein Brauen rund um das Jahr. Am 14. Januar 1928 konnte nach einem Dreivierteljahr der Betrieb wieder aufgenommen werden. Zusammen mit der Brauereieinrichtung entstand ein eigenes Familienbad im Wohnbereich. Das Baden in der Waschküche hatte damit ein Ende. Die Baukosten summierten sich auf 10.000 Mark, die Brauereieinrichtung verschlang zusätzlich 17.037 Mark. Doch erst 1930 wurde der Neubau von Hüttinger Maurern verputzt, die eigenen Leute waren dabei die Handlanger.

Von den verliehenen Anbauflächen mussten an die Herrschaft, das Studienseminar Neuburg als Nachfolger des Klosters jährlich folgende Abgaben geleistet werden: An Zins (sozusagen als Mietgeld) drei Gulden, elf Kreuzer und sechs Heller. Dazu mussten eine Fasnachtshenne und eine Herbsthenne gereicht werden, beide waren in Geld zu je 15 Kreuzer veranschlagt. An „Ertragssteur“ (Gült) wurden Naturalabgaben abgeführt: Korn (Roggen) 10 Metzen und Hafer 20 Met- zen. Ein Metzen ist ein Hohlmaß für Getreide und umfasste etwa 37 Liter.

Auf das Kellerhaus mit gut 14 Metern Länge und sieben Metern Breite durften ein Dach aufgesetzt und Stuben eingerichtet werden. Stuben sind im Gegensatz zu Kammern beheizbare Zimmer. Diese erweiterten die Übernachtungsmöglichkeiten der Tafern nicht unerheblich.

Franz und Anna Maria Böhm wollten schon im August 1799 ihr Anwesen an ihren 18-jährigen Sohn bzw. Stiefsohn Jakob übergeben, noch bevor dieser seine Ausbildung als Brauer abgeschlossen hatte. Das Seminarprobstamt verweigerte die Protokollierung wegen des ju- gendlichen Alters. Die Eltern erhoben dagegen Einspruch bei der kurfürstlichen Regierung in Neuburg. Ein Jahr später gab die Administration des Studienseminars nach. Mit neunzehn Jahren durfte Jakob Böhm am 9. Juni 1800 mit Einwilligung seiner Stiefmutter von seinem Vater das Gesamtanwesen übernehmen und die „Alten“ gingen mit 49 bzw. 47 Jahren in „Rente“.

Übergeben wurden Taferngerechtigkeit, Bräustatt, Haus, Stadel, Stallungen, dann der besonders besitzenden Sölde, eigenen und Hofbaugütern [das „unbezimmerte“ Le- hen, s. o.] mit allem was Nagel und Band hält, unter Dreingab allen vorhandenen Viehs und Baumannsfahrnis [Gerätschaften zur Bewirtschaftung des Anwesens], 350 Mezen Malz, 100 Eimern braunen Sommerbiers im Keller, alles vorhandenes Zinn, Kupfer, Küchengeschirr, Krügen, Gläsern, Bettungen, Schreinerwerk, und was zum Bräuhaus gehört, Getreide, Stroh, Servietten, Tischtücher und Bettzeug. Die Übergeber behielten sich für ihre eigene Altersversorgung einen Austrag vor. Das waren an Hausrat 3 lange Kästen [stehende Schränke im Gegensatz zu Truhen, die als liegende Kästen bezeichnet wurden] mit doppelten Türen, 12 Zinnteller, 30 Ellen verschiedenes Tuch, 2 zinnerne Suppenschüssel, 3 Tischtücher, 6 Servietten, 3 mittelmäßige, teils messingene, teils kupferne Pfannen, 2 Tische aus der Kammer, 4 lange Stühle [Bänke], 5 Schlafsessel, 3 gerichtete Betten mit doppelten Überzügen und ebenso viele Bettstätten. Zur Unterkunft für sich und die jüngeren Kinder behielten sich die Eltern das hintere Stüberl vor. Für die Geschwister aber nur, so lange bis sie nach der Eltern Tod ihr Brot selbst gewinnen, oder im Krankheits- oder Arbeitslosenfall. Das sollte nur gelten, wenn sich die Eltern kein eigenes Haus kaufen würden. An Naturalien waren gefordert: 4 Klafter Holz (1 Klafter sind etwa 3 Ster) und 200 Pauschen (Reisigbündel zum Anheizen), Lieferung frei Haus. Zur Nahrung waren jährlich 24 Metzen Korn, 12 Metzen Weizen, 12 Metzen Gerste, ein gemästetes Schwein zu 100 Pfund, 25 Pfund Rindfleisch, 50 Pfund Rindsschmalz, 300 Eier und 200 Krautköpfe vereinbart. Dazu kamen monatlich ein Eimer Schankbier, wie es sich im Keller befindet, eine Maß Branntwein sowie vier Pfund Unschlittkerzen. Unschlitt ist Rindertalg. Weiterhin kamen wöchentlich zwei Maß Milch dazu. Schließlich hatte der Übernehmer für seine Eltern noch jährlich einen Metzen Lein an- zubauen. Alles andere hatten die Eltern auf eigene Kosten zu besorgen. Wenn die Eltern nicht im Haus bleiben wollten, fielen 15 Gulden Mietbeitrag an. Als Übernahme-(Kauf-) Summe wurden 4.000 Gulden vereinbart. Dazu mussten Schulden in der Gesamthöhe von 650 Gulden übernommen werden. Die übergebenden Eltern und die vier noch unversorgten Kinder konnten von den ausbedungenen Reichnissen standesgemäß leben. Den Genuss von einem Liter Bier und einem Stamperl Schnaps pro Tag für Vater und Stiefmutter war bestimmt angenehm. Was im Naturalreichnis der damaligen Zeit noch fehlte, waren Kartoffeln. Der Anbau dieser Feldfrucht bürgerte sich im 19. Jahrhundert erst allmählich in Bayern ein. Das Ausgeding konnte der Vater noch 35 Jahre und die Stiefmutter noch 28 Jahre genießen. Ein reines „Rentnerdasein“ war es für beide bestimmt nicht. Die Mitarbeit im Haus und in der Brauerei sowie auf den Feldern war, solange die Kräfte reichten, selbstverständlich.

Wohnhaus mit Gastwirtschaft und angebaute, neue Brauerei

Davor der begrünte kleine Biergarten; Gemälde um 1950

(Familienarchiv Böhm)

 

 

 

Starke Frauen in der Familie Böhm

 

Zumeist überlebten im Haus Böhm die Frauen ihre Männer und mussten „ihren Mann stehen“ oder sich für einen gerechten Austrag stark machen. Eine weitere Ehe ist keine der Witwen eingegangen.

 

 

Starke Frauen: Catharina, geb. Donaubauer

Catharina Böhm, geb. Donaubauer, überlebte ihren Mann Jakob um zehn Jahre. Obwohl sie Analphabetin war, meisterte sie die Wirtschaft mustergültig. Sie hatte für die schriftlichen Angelegenheiten ihren schreib- gewandten Sohn Ignaz, der ab dem Tod des Vaters zu Hause blieb und für seine Mutter die Geschäfte führte. Dennoch übergab die Mutter nicht, sie behielt das Kommando. Erst nach dem Tod des ältesten Sohnes Ignaz und auf Grund ihrer eigenen Gebrechlichkeit wurde sie veranlasst, das Ruder aus der Hand und in die ihres zweiten, 20-jährigen Sohnes Johann Baptist zu geben.

 

Bergen in einer Ansicht aus dem Jahr 1889

Die Tafern mit dem Bodenerker ist vor dem Pfarrhof zu erkennen. Die ehemalige St.-Sebastiankapelle mit Dachreiter steht mittig im Vordergrund. (Bildarchiv A. Mack)

 

Starke Frauen: Christine, geb. Prüglmair

Noch länger blieb Cathatinas Nachfolgerin Christine, geb. Prüglmair, Herrin im Haus. Ganze sechsundzwanzig Jahre schwang sie nach dem Ableben ihres Mannes Johann Baptist das Zepter. Erst als sie ihren Sohn Alfons in guten Händen wusste und selbst schon an das letzte Krankenlager gefesselt war, übergab sie die Verantwortung für das Anwesen. Christine war eine praxisorientierte Frau. In einem kleinen Büchlein trug sie allerlei praktische Kniffe für das Hauswesen zusammen. Diese beleuchten damalige Verhältnisse, lassen uns heute schmunzeln und waren für die damalige Zeit bestimmt gute Ratschläge. Einundfünfzig nützliche Tipps, manchmal auch kuriose, finden sich dort. Schädlingsbekämpfung machte viel Mühe. Wanzen, Getreidewürmer am Schüttboden, Raupen an Bäumen und Gemüse, Erdflöhe, Maulwürfe, Wühlmäuse im Garten und in den Wiesen, Schnecken, Schaben oder Ameisen machten der Hausfrau in Haus und Hof viel zu schaffen.

Wanzen waren für eine Herberge gewiss keine Reklame, daher versuchte Christine mit allen Mitteln, diese zu vertreiben oder zu

vernichten. Gegen gekochten und an Wände und in Ritzen verstrichenen brasilianischen Pfeffer hatten die Blutsauger, so glaubte sie, eine Abneigung. Auch frisch geraspeltes Er- lenholz in den Betten würden sie nicht mö- gen. Und eine weitere Methode gegen Wan- zen hatte sie auf Lager: Die platten, gelb geränderten Blutegel wirft man auf glühen- de Kohlen und lässt deren Dampf 48 Stun- den in den verschlossenen Kammern. Flöhe und Wanzen würden gänzlich verschwinden, wenn man Stücke eines stark riechenden, geräucherten Herings in den Strohsack oder auf den Himmel des Bettes legen würde. Das klingt glaubhaft! Wie man darauf oder dar- unter wohl schlief? Damit wurden aber nicht nur die Wanzen, sondern bestimmt auch die Gäste vertrieben.

Parasiten konnten, so Christine Böhm, auch gut gefangen werden: Man heftet mit einer Nadel frische Bohnenblätter auf das Kopfkis- sen oder Deckbett vor dem Schlafengehen. Die Wanzen versammeln sich darunter und des morgens hängen die Wanzen wie vom Schlafe betäubt an den Blättern. Ein weiteres Rezept soll hier nicht erwähnt werden, es ge- hört eher in den Chemiesaal. Ratten und Mäu- se wollte Christine mit eher abergläubischen Mitteln vertreiben: Im abnehmenden Mond, wenn der Metzger ein Schwein sticht, näm- lich eines männlichen Geschlechts, so muss von selbigem auf einer Schütt Stroh aufbrechen und das Stroh in der Scheuer oder wo die Mäuse sonst sich aufhalten, selbiges um- streuen, dann müssen die Mäuse weichen. Oder aber: Wann man ein abgebrochenes Waagscheit findet und selbiges ohne das ein niemand sucht und nicht mit der bloßen Hand anrühren entweder mit einem Handschuh oder Sacktuch selbiges zerspanen auch nicht mit der bloßen Hand wegnimmt und die Splitter an dem selbigen Ort getan, wo sich die Ratten aufhalten. Die letzten bei- den, eher dem Aberglauben zuzuschreibenden Rezepte stammen nicht von Christine, ihr Sohn schrieb sie in den Anhang.

Viele Hinweise enthält das Notizbüchlein zu Verschönerungs- und Auffrischungsmöglichkeiten von verblasstem Gold, Bilderrahmen oder Textilien, aber auch für die Herstellung eines erfolgversprechenden Fischköders oder von Mehlwürmern für die Nachtigall. Das zeigt, die Zeit war gekommen, Räume dekorativ zu gestalten. Die „mittelalterliche Musikbox“ im Vogelbauer war trotzdem noch nicht abgeschafft.

 

Starke Frauen: Anna, geb. Sayle, und ihre Cousine Anna Wecker

Neun Jahre blieb Anna Böhm alleinige „Herrin“ und Erneuerin der Infrastruktur, bis ihr Sohn Otto mit 24 Jahren alle gewünschten Ausbildungen abgeschlossen und eine Frau fürs Leben gefunden hatte. Besondere Wür- digung aber sollen die emanzipierten Damen aus der – mit Bergen sehr eng verbundenen – Verwandtschaft der Anna Böhm erfahren. Ihre Cousine Anna Wecker ging nach Salzburg und wurde erst Kindermädchen und dann Kammerfrau der Erzherzogin Germana Maria Theresia von Österreich, Großherzogin von Toskana. Germana war die Tochter von Großherzog Ferdinand IV. von Habsburg-Lothringen-Toskana und seiner Frau Alice, geb. Prinzessin von Bourbon-Parma. Aufgrund der Einigung Italiens ging die Familie ins Exil, lebte im Sommer in der Villa Toskana in Lindau und im Winter in einem kaiserlichen Schloss in Salzburg. Germana erblickte dort 1884 das Licht der Welt. Die Beziehung der großherzoglichen Familie nach Bergen und zu Anna Sayle muss gut gewesen sein, denn sie bekam zu ihrer Hochzeit von der Großherzogin ein wertvolles Hochzeitsgeschenk, einen Weinkrug von blassgrüner Farbe, geripptem Glas mit goldenem Dekor. Großherzogin Germana starb unverheiratet 1955.

 

Starke Frauen: Tante Rosina – tief religiös und abenteuerlustig

Rosina Schäffler, eine Tante von Anna Böhm, Schwester ihres Vaters Otto Sayle, war eine unternehmungslustige Frau. Ihre tiefe Religiosität ermunterte sie – schon als Witwe – zu einer Pilger-Reise nach Jerusalem. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie bereits fünf Mal in Lourdes gewesen. Am 1. August 1909 brach sie mit 63 Jahren von Augsburg aus mit dem Zug nach Monaco auf. Dort schiffte sie sich auf dem Dampfschiff Etoile nach Beirut ein. Von dort reiste sie über Damaskus nach Jerusalem. Am 29. August war sie wieder zurück. Als Andenken brachte sie jedem einen schönen Rosenkranz mit und für Anna Böhm eine goldene Brosche, die das Jerusalemkreuz zeigte.

In ihrem Brief vom 8. August 1909 schildert Rosina Schäffler die ersten Reisetage. Die Strapazen des damaligen Reisens klingen deutlich an, die Erlebnisse aber begeisterten sie:

Von Immendingen aus, wo wir uns mit dem Extrazug vereinigten, ging es im Fluge durch die Schweiz und dem Gotthard bis wir ohne Unterbrechung gestern früh 5 Uhr in Chiasso in Italien anlangten, dort Wagenwechsel, und weiter ging es durch die etwas eintönige Lombardische Ebene an Mailand und Pavia vorüber an der reizenden italienischen und französischen Riviera dem mittelländischen Meere entlang, vorbei an den schönen Punkten von San Remo. Mentone. Monte Carlo bis wir endlich in Monaco abends, 5 Uhr französischer Zeit, in Schweiß gebadet mit Staub bedeckt ankamen. Auch da keine übrige Zeit, denn sofort kamen die Lastenträger um unsere Reiseeffekten an Bord des schon am Landungsplatze uns erwartenden Dampfers „Etoile“ zu bringen. Ich hoffte ganz sicher vor Abfahrt des Dampfers noch ein paar Karten und Marken zu erhaschen, um zu melden, daß bis dahin alles gut gegangen und meine Grüße noch vom alten Europa aus zu senden. Umsonst! Bis wir in den Besitz unserer Cabinen gelangten und uns durch Waschung erfrischten, fühlte ich schon durch leises Schwanken des Schiffes, daß es bereits abfuhr. Ich eilte auf das Vordeck, um die Abfahrt noch weiter zu sehen und Europa im Stillen Lebewohl zu sagen, als auch schon die Schiffs- glocke ertönte, welche zum Abendessen rief, was uns sehr not tat, da wir fast vor lauter Eile in der Fahrt, den ganzen Tag, außer in der Frühe Caffee, nichts zu essen bekommen hatten. Der Speisesaal ist schön und geräumig, das Essen reichlich, nach französischem Geschmack, die Bedienung ebenfalls französisch, einige Kellner sprechen Deutsch. Weibliche Bedienung seh ich bis jetzt nur eine einzige Person, die in unserer Cabine herumhantiert, aber kein Wort Deutsch versteht. Sonst sind wir alle recht zufrieden und so viel an Menschen sind auf dem Schiffe gut aufgehoben. Die Fahrt und das Wetter ist prachtvoll, der Aufenthalt auf Deck so schön, die Luft so rein, daß man sich besonders abends fast nicht davon trennen kann. In den Cabinen ist es bei Nacht schon recht warm obwohl die Schiff-Luken offen sind. In aller Frühe beginnen die hl. Messen. Es ist ein eigener Raum zu einer Kapelle eingerichtet. Wir haben civile 60 Priester an Bord, denen man aber nach ihrem gegenwärtigen Äußeren den kath. Priester nicht ankennen würde. Die verschiedenen Costüme bekleiden sie wie alle Mitreisenden. Vorherrschend ist weiß und gelb. Am Bekenntnisse nach scheinen alle Bekenntnisse vertreten, sogar ein Jude ist dabei.

Den 4. August: heute nachmittags 2 Uhr fuhren wir an der Insel Stromboli mit dem gleichnamigen, feuerspeienden Berge vorbei, das war recht interessant. Abend 6-7 Uhr fuhren wir an den Küsten von Calabrien und Sizilien vorüber durch die Meerenge von Messina. Die Augen aller Mitreisenden waren natürlich auf die durch das Erdbeben Ende vorigen Jahres zerstörten Stadt und dieser ge- richtet. Heute noch ist der Schaden nicht ausgebessert, nur viele Baracken sind errichtet, auch unter Zelten wohnen die Leute noch.

Den 5. August: Heute Nacht ziemlich starkes Schwanken des Schiffes, daß man auf seiner Lagerstätte (Bett kann man es eigentlich nicht nennen) heftig eingewiegt wurde. Gegen Morgen wurde die See, scheint mir, noch stärker erregt, die Priester konnten nur mit Mühe die hl. Messe lesen, mussten sich oft am Altare einhalten, um nicht zu fallen. Es gibt auch schon einige Empfindliche, die glauben, die Seekrankheit schon zu verspüren. Herr Pfarrer und ich sind aber immer, bis fast wenigstens, gesund u. wohl. Heute sehen wir den ganzen Tag kein Land, morgen, so Gott will, werden wir die Insel Kreta anlaufen, da wird dann die Post expediert werden.

Der 6. August: Das Meer ist wieder ruhiger. Habe Mittag etwa Landung auf der Insel Kreta. Bis auf Weiteres Gott befohlen.


Herzliche Grüße an Euch alle Eure Tante


Rosina Schäffler.

Signet

auf dem Briefpapier des deutschen Schiffes „Etoile“. (Familienarchiv Böhm)

Starke Frauen: Maria Creszenz – unruhige Seele und gute Köchin

Eine besondere Karriere durchlief eine Halbschwester von Jakob Böhm. Maria Kreszentia war die Tochter des Franz Böhm und seiner zweiten Frau. Sie lernte die Kunst des Kochens im Elternhaus ihrer Schwägerin Catharina, geb. Donaubauer, in Gaimersheim. Den ersten Reisepass erhielt sie am 22. Februar 1827 zur Fahrt ins „Ausland“ nach Salzburg. Als Grund gab sie den Besuch ihres Bruders Franz, Braumeister in Kaltenhausen bei Hallein, an. Hier entdeckte sie wohl ihre Zuneigung zu Österreich. Am 1. Oktober 1829 war sie weiterhin in Kaltenhausen anzutreffen. Sie genoss dort gewiss nicht die ganze Zeit die Sommerfrische. Es ist eher anzunehmen, dass im Brauereigasthof ihre Kochkünste geschätzt wurden. Von Kaltenhausen aus knüpfte sie wohl erste Kontakte nach Wien, denn am 27. März 1834 war sie in der Hauptstadt beschäftigt. Ihre Adresse lautete Beim Kaiserlichen Rat Hauer. Da der Name sehr undeutlich geschrieben ist, könnte er mit dem des Arztes Dr. Hanen (s. u.) identisch sein.

Mit 38 Jahren ließ sie sich ein – weiteres (?) – Dienstbuch ausstellen, das auch im Ausland Gültigkeit hatte. Der erste Eintrag belegt den Dienst als Köchin bei der Gräfin von Bau– dissin-Zinzendorf-Pottendorf vom 1. November 1837 bis 1. November 1838. Sie wohnte und arbeitete in der Kleinen Stiftsgasse 196 in Wien. Heinrich August Graf von Baudissin- Zinzendorf-Pottendorf bescheinigte ihr sehr große Treue, Fleiß und Verträglichkeit. Auch ihre Geschicklichkeit wurde bejaht. Einen Teil der Zeit verbrachte sie mit der Herrschaft im Schloss Wasserburg in St. Pölten. Von dort ging Kreszenz am 3. November zurück nach Wien, um sich eine neue Stelle zu suchen. Von Januar 1839 an kochte sie in Wien vier Monate für eine Herrschaft mit dem Vornamen Therese, der Nachname im Dienstbuch ist unleserlich. Vom 1. Juli an arbeitete sie einen Monat bei der Brauereibesitzerin Josepha Bosch in Nussdorf bei Wien. Kurze Zeit war sie bei einem k. & k. Kommissar Seltmann beschäftigt. Am 16. April 1842 bezeugte ihr Dr. Joseph Hanen – aufgrund der undeutlichen Schreibweise könnte er auch Hauer geheißen haben (s. o.) – in Wien, k. & k. Rat und Dirigierender Stabsfeldarzt in Ober- und Niederösterreich, dass sie ihm zwei Jahre und elf Monate als Köchin gedient habe. Er bestätigte ihr Treue, Fleiß und untadelhafte Moral. Er und seine Gattin seien mit ihr vollkommen zufrieden gewesen. Anschließend verbrachte sie ein- einhalb Jahre in Salzburg, vielleicht wieder in Kaltenhausen, bis sie am 9. November 1843 in ihr Elternhaus zurückkehrt.

Lange hielt es Kreszenz dort nicht. 1844 war Bad Ischl ihr Ziel, wo sie vom 16. Mai bis zum 5. Oktober bei der polnischen Adelsfamilie Poniatowski kochte. Am 8. Oktober reiste sie nach Wien, zuerst mit der Bahn bis Linz, von dort nahm sie das Schiff. Wahrscheinlich genoss sie zuerst einmal fünf arbeitsfreie Tage in Wien, denn ab dem 7. November 1844 gab Kreszenz den Michaelerplatz 4 als Adresse an. Sie wohnte also unmittelbar neben der Burg, der kaiserlichen Residenz. Ihr Dienstherr war Graf Walewski. Diesem war sie vom verschwägerten Grafen Poniatowski empfohlen worden und konnte sich damit gegen eine großen Bewerberzahl durchsetzen. Bescheiden beantwortete sie die Frage nach dem gewünschten Arbeitslohn, den wolle sie der Frau Gräfin überlassen: Ich koche aber sehr gut, bin sehr ordentlich und brav, lobte sie sich selbstbewusst. Gräfin Walewski bot ihr 14 Gulden im Monat, obwohl es wohlfeilere Köchinnen gegeben hätte. Das Dienstverhältnis dauerte nur sehr kurz, denn für die Herrschaft hatte sie zu teuer eingekauft. Kreszenz war nicht unglücklich, hatte wieder einige Tage für sich selbst und schrieb nach Hause:

Es ist zum Lachen, für diese 19 Tage haben sie mir 10 Gulden gegeben. Nicht wahr, Gott hat mir eine gute Ernte geschenkt. Bei mir ist die Arnte [Ernte] für dieses Jahr hübsch gut ausgefallen. In Ischl war ich kaum 3 Tage vazinannt [ohne Arbeit], dann bin ich zur Gräfin Hortwart gekommen auf 7 Wochen, die ist wieder nach Ungarn in ihre Heumath [Heimat] nach Dortweaschö [?]. Sie gab mir auf 7 Wochen 17 fl neu. Am Tag als sie fortging kommt die Brenner Lisi, holt mich. Ich musste Tafel kochen, ich musste bei ihr 3 Wochen bleiben, dann gibt sie mir 10 neue Gulden.

Hier handelte es sich um den Salinenarzt Dr. Josef Ritter Brenner von Felsach, den großen Förderer von Bad Ischl und dessen Hausangestellte Liese. Kreszenz fuhr fort: Dann bin ich zu Graf Poniatowski gekommen auf 6 Wochen, der gab mir 30 Gulden und ein Kleid und eine Haube. Anschließend hielt sich Kreszenz Böhm aushilfsweise drei Wochen bei Anna Malevetta als Köchin über Wasser. Die hätte sie gern weiter beschäftigt, musste sich aber wieder von ihr trennen, da sie bereits vorher einen Arbeitsvertrag mit einer anderen Frau geschlossen hatte, die noch eine gewisse Zeit gebunden gewesen war. Malevetta empfahl sie in französischer Sprache, hier in Übersetzung, als eine sehr gute, sehr ehrenhafte und sehr ruhige Frau, die sehr gut kocht.Sie bekam eine noble Seife und eine Kette geschenkt. Die Seife behielt sie in guter Er- innerung, das Etikett lag als Lesezeichen in ihrem Kochbuch.

Ab 30. August 1845 arbeitete sie beim Grafen Lengewitsch in der Kärntner Straße 12 in Wien und ab dem 8. Dezember 1845 in Salzburg wieder einmal bei der Frau von Dr. Brenner von Felsach. Auch diesmal zur vollsten Zufriedenheit.

Vielleicht war es Kreszenz Böhm zwischenzeitlich zu unruhig geworden, sie kehrte im Oktober 1847 nach Bergen zurück und blieb bis 12. April 1848 in der Heimat. Aber schon Ende April war sie wieder in Wien tätig, diesmal bei der Gräfin Harrach, also in einem traditionsreichen, angesehenen und noblen Haus.

Ende Februar 1852 zog es sie wieder nach Bergen. Ein ganzes Jahr lang kochte Kreszenz in der Wirtschaft ihres immer geschätzten Neffen Johann Baptist. Vielleicht hatte sie in dieser Zeit ihr umfangreiches, handgeschriebenes Kochbuch vollendet, das sie 1833 begonnen hatte. Dieses Kochbuch mit etwa 450 Rezepten ist ein Vorläufer der gehobenen Küche, wie sie heute im Klosterbräu geboten wird. Eine kleine Kostprobe daraus:

Krebsmeridon, Hähnchen mit Krebsbutter gefüllt, einen lämmernen Hasen zu braten und herzurichten, oder eine für damalige Zeiten typische österreichische Spezialität: Kindskoch. Auch ein Vorschlag für einen Wochenspeiseplan findet man dort:

Die Vorschläge für Sonn- und Montag lauten in der wortgereuen Transkription wie folgt. Die originelle Orthographie der Köchin erheitert dabei:

Wochenspeiseplan aus dem Kochbuch der Kreszenz Böhm

Auszug für Sonntag und Montag. (Familienarchiv Böhm)

 

Sonntag

Eine schwarze Brodsuppe mit verlornen Eÿern und Bratwürste. Rindfleisch mit Sartellensoß und kalten Krenn. Eingemachtes Lämmernes mit Frikerse. Gute Gerstennudel, einen englischen Nirnbraten, mit saurm Salat, aufgelaufenes Kindskoch.

Montag

Geselchte Fleischknödel. Rindfleisch mit Rahmkrenn, und kalte Gugümer [Gurken]. Weisen Frikanto Schlägl [österr.: Fricandeau oder Weißes Scherzl vom Rinder-Schlegel] in Netz mit March, und Sandeln gespikt, Spargeln in Eßig, und Öhl, Schneckennudel von Beschermehl.

Das überlieferte Dienstbuch der Maria Kreszenz Böhm endet mit dem Dienstzeugnis ihres Neffen Johann Baptist vom 3. Mai 1855 in Bergen. Tags darauf ließ sie sich in Neuburg einen Reisepass ins Ausland ausstellen. Als Begründung gab sie „Verwandtenbesuche in Salzburg, Innsbruck und Mailand“ an. Es muss angenommen werden, dass sie brieflichen Kontakt zu ihrem zukünftigen Arbeitgeber aufgenommen hatte bzw. von diesem gebeten wurde, bei ihm in Dienst zu treten. Möglicherweise geschah das nach einer Empfehlung eines früheren Dienstherrn aus Wien. Jedenfalls ist auf dem Pass schon der eindeutige Hinweis gegeben, dass sie mit ihrem zukünftigen Dienstherrn Sigmund Conrad von Eybesfeld viel auf Reisen sein würde. Dieser war damals 34 Jahre alt, hatte Rechtswissenschaften studiert und war Präsident verschiedener k. k. Kommissionen, die mit der Umwandlung des alten Feudalsystems und mit Finanzen zu tun hatten. Kaiser Franz Josef I. hatte ihn 1854 in den Ritterstand erhoben. Ab 1871 fungierte er als Statthalter von Ober-, danach von Niederösterreich. In seiner ursprünglichen Funktion hatte er sehr oft in Oberitalien zu tun, das in dieser Zeit aufgrund der italienischen Einheitsbewegung für Habsburg verloren gegangen war.

Kreszenz Böhm reiste von Bergen unmittelbar nach Mailand; das zeigen die amtlichen Vermerke auf der Rückseite ihres Reisepasses.

Kreszenz ist im Mai 1855 also direkt von Bergen nach Mailand gereist. Acht Tage nach Ausstellung des Reisepasses am 4. Mai wurde er in Mailand abgestempelt. Im Oktober freute sie sich, dass der „Herr“ nicht da sei und die Frau erst um 14 Uhr „speist“. Da habe sie etwas mehr Zeit. Im August 1856 war sie immer noch in Mailand. Weitere Aufenthalts- orte waren Venedig Ende 1856 oder Anfang 1857 und Zagreb (Agram) im Juni 1857.

Im Juni 1862 war sie in Eybesfeld, im Juni 1863 in Triest, bis sie dann wohl in Eybesfeld sesshaft wurde. Kreszenz Böhm wurde also mit 58 Jahren zum „Zugvogel“.

In verschiedenen Briefen schilderte sie ihrem geliebten Neffen Johann Baptist ihre Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen im Haus Eybesfeld, einem Schloss, südlich von Graz und nahe an der slowenischen Grenze.

So schilderte sie im September 1869, da war sie schon 14 Jahre in Diensten des Sigmund Conrad von Eybesfeld und mehr ans Haus gebunden als früher:

 

Lieber guter Baptistl,
[…] ich bin gesund […] mein Gnädiger Herr ist jetzt wieder in Venedig, […] Unser Frau Baronin ist auch schon wieder 3 Wochen bei ihm, die Kinder und Großmama sind hier […] ich habe gehört, dass der Gnädige nach Wien reist und beim Kaiser seine Aufwartung macht […] Sobald er kommt, so wird zusammengepackt und alles geht hinein nach Venedig. Ich habe gesagt, ich gehe nicht, ich werde zu Hause reisen, ich bin auch schon alt. Sie sagten, du darfst nicht fort, dann musst du hierbleiben. Kreszenz beklagte, sie müsse alles allein machen, niemand helfe ihr bei der Arbeit. Die Baronin sagt, du magst machen was du willst, fort darfst du nicht […] Ich hab gesagt, ich will mich einlassen bis ins Frühjahr, dann reise ich nach Haus. Ich muss jetzt unendlich viel ausstehen, sie ist auch schon so zuwider […] 19 Personen im Maierhaus, 24 Personen hab ich alle Tag zu kochen. Kreszenz freute sich jedenfalls auf das Frühjahr und auf Bergen. Eine kleine Freude bei der vielen Arbeit leistete sie sich doch: Ich war heuer auf dem Fasching auf einer Bauernhochzeit, ja da war es lustig, ich habe so getanzt, dass ich jetzt noch darüber lachen muss. Ein paar Jahre später, am 9. März 1873 war sie immer noch in Eybesfeld. Ihr Brief nach Hause klingt nun noch viel verzweifelter und trauriger: Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, von diesem Schloss fortzukommen. Kann es nicht mehr aushalten […] Ich bin gesund, aber zusammenschinden tu ich mich.

 

Die unternehmungslustige, wackere, arbeitsame und treue Seele kam wirklich nicht mehr vom Schloss fort. Sie starb dort am 13. November 1873 als „Haushälterin“ und nicht mehr als Köchin, wie Pfarrer Lang von der dortigen Pfarrei in das Sterberegister eintrug.

Doch nun zurück nach Bergen, zu Anna Böhm und den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts.

 

 

Reisepass der Maria Crescentia Böhm

Dieser „handliche“ Pass misst 41,5 x 32 cm.
Die Rückseite dokumentiert die Ankunft von Kreszenz in Mailand am 12. Mai 1855.
(Familienarchiv Böhm)

 

 

 

Otto Böhm – Bruderzwist, Nachkriegszeit und Umbau

 

 

 

Die Söhne Alfons und Otto, der erste Träger dieses Namens in der Familie Böhm, gingen ihrer Mutter Anna nach ihrer Ausbildung in der Landwirtschaft und in der Brauerei kräf- tig zur Hand. Alfons absolvierte 1927 die pri- vate Brauerschule von Dr. Doemens in Mün- chen. Seitdem kümmerte er sich vornehmlich um die häusliche Brauerei und steigerte den Ausstoß von 500 Hektolitern im Jahr 1927 auf 1.500 Hektoliter im Jahr 1931.

Otto heiratete am 25. Juni 1935 im Al- ter von 24 Jahren die Bauerntochter Maria Gensberger aus Bergen, nachdem sein äl- terer Bruder Alfons auf den väterlichen Be- sitz zu seinen Gunsten verzichtet hatte. In dieser Zeit galt das Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933. Es sollte sich gegen Überschuldungen und Zersplitterung von größeren landwirtschaftlichen Betrieben richten. Das Anwesen von Otto Böhm wurde am 15. November 1935 in die Erbhöferolle eingetragen. Eigentümer von solchen Höfen durften sich „Bauern“ nennen, alle anderen bezeichnete man als „Landwirte“. Für Erb- höfe wurde das Anerbenrecht eingeführt, die Realteilung war damit nicht mehr mög- lich. Nicht ungern gesehen war auch das Jüngstenrecht in der Erbfolge, weil dann – zumindest statistisch gesehen – der Hof

längere Zeit von einer Hand bewirtschaftet werden konnte. Das Reichserbhofgesetz versuchte die wenig guten Erfahrungen des 19. Jahrhunderts zu vermeiden, als nach der Abschaffung des Obereigentums vie- le Güter zertrümmert wurden. Die Gebun- denheit des landwirtschaftlichen Bodens an ein Anwesen wie zu Zeiten der feudalen und kirchlichen Grundherren erlebte eine Renaissance, diesmal legte der NS-Staat den Zwang auf. Der weitere Zweck des Ge- setzes war die Vermeidung von Überschul- dung bzw. es sollte die Entschuldung geför- dert werden. Dieses gesetzliche Ziel führte jedoch bei der Übergabe von Anna an Otto Böhm zu erheblichen Problemen. Der Über- gabevertrag vom 14. Juni 1935 wurde erst im November vom Anerbengericht geneh- migt. Voraussetzung war die Reduzierung des an Anna Bruglachner, Ottos schon ver- heirateter Schwester, und an seinen Bruder Alfons zu bezahlenden Erbanteils um jeweils 5.000 Mark. Die Schuldenlast wäre nach Ansicht des Gerichts sonst zu hoch und die Leistungsfähigkeit des Betriebs zu gering gewesen. Letztere dürfe nicht überstrapa- ziert werden. Die bisherigen Gesamtschul- den beliefen sich – bestimmt auch wegen des erst vor kurzem erfolgten Neubaus der Brauerei – schon auf 80.000 Mark. Mit den

reduzierten Verpflichtungen aus dem Über– gabevertrag summierten sich diese jetzt auf 98.500 Mark; das überstieg den geschätz- ten Betriebswert beträchtlich. Auch die Mit- gift der Braut Maria Gensberger in Höhe von 15.000 Mark ändere die Situation nicht we-

sentlich, so das Oberlandesgericht in Mün- chen im März 1936.

Der Zwist zwischen Otto und Alfons, der noch dazu vorher zu Gunsten des Jüngeren verzichtet hatte, war dadurch vorprogram-

miert. Nach Querelen und Differenzen zwi- schen den Brüdern kündigte Otto dem Alfons und stellte ihn mit Schreiben vom 27. Novem- ber 1937 zum 1. Januar 1938 als Betriebs- leiter der Brauerei aus: Mein Entschluss ist unveränderlich, da ein gedeihliches Zusam- menarbeiten auf all die Vorkommnisse hin nicht gewährleistet ist. Alfons verfügte über so viele eigene Mittel, dass er am 28. März 1938 die Kieferlbrauerei in Neuburg kaufen und zwei Monate später Minna Hamm, die Tochter eines Neuburger Schneidermeis- ters, heiraten konnte.

 

Das Ehepaar Maria und Otto Böhm

mit ihren fünf Kindern Gertraud (+1935), Rosa (*1937), Berta (*1939), Erna (*1941) und Otto (*1942)

(Familienarchiv Böhm)

 

Otto Böhm brauchte, sein Freistellungsantrag vom 16. Oktober 1939 hatte Erfolg, als „Kämpfer an der Heimatfront“ für den Reichsnährstand nicht zum Militär. Er be- gründete dies damit, dass er durch zwei Ar- beitsunfälle körperlich erheblich behindert sei und als alleiniger Betriebsleiter auf allen Gebieten der Erzeugerschlacht viel dienen könne.

Die Nationalsozialisten drangen in jede Ecke der Gesellschaft ein. Die Brauer wurden genötigt, in den neuen Deutschen Brauerbund als Berufsverband, der wirtschaftspolitisch von der NS-Partei gelenkt wurde, ein- zutreten. Weigerte sich ein Betrieb, drohten ihm etliche Zwangsmaßnahmen; so sollten deren Namen veröffentlicht und zu ihrem Boykott aufgerufen werden. Sie würden dann als Schädlinge der Wirtschaft kenntlich gemacht werden. Auch die Mitgliedschaft im neuen und reichseinheitlichen Verband des deutschen Gaststättenverbandes wurde erzwungen. Beiden Verbänden konnte sich Otto Böhm nicht entziehen.

In den letzten Kriegstagen wurde sein Bull- dog durch einen Tieffliegerangriff schwer beschädigt. Um seine Landwirtschaft weiter betreiben zu können, musste der Landwirt Ludwig Luidl aus Bittenbrunn am 6. Mai 1945 zwei gute Pferde an Böhm abgeben. Diese Maßnahme zwei Tage vor Kriegsende – die US-Armee hatte die hiesige Gegend knapp zwei Wochen vorher besetzt – wird Otto Böhm nicht sehr beliebt gemacht haben.

Gleich nach dem Krieg bahnte sich für Otto Böhm weiteres Unheil an. Nicht auszuschließen ist, dass Neider oder sonstige missliebige Mitbürger ihn nach Kriegsende bei der amerikanischen Militärregierung denunzierten. Als Mitglied der NSDAP war er – ohne gefragt zu werden – 1943 vom NSDAP-Kreisleiter Anton Mündler für einen zur Wehrmacht Einberufenen zum stellvertretenden Leiter der Ortsgruppe Hütting-Bergen der Partei eingesetzt worden. Deshalb verhafteten ihn die Amerikaner von der Heuernte weg am 18. Juni 1945. Er kam zunächst nach Neuburg und anschließend nach Donauwörth. Von da ab verlor sich für seine Frau Maria und die fünf Kinder die Spur des Ehemanns und Vaters. Erst Mitte Oktober 1945 kam ein privater Hinweis, Otto Böhm sei im Internierungslager Moosburg und bitte um Verpflegung.

Identifizierungsfoto

mit Häftlingsnummer im Internierungslager Moosburg 1945

(Familienarchiv Böhm)

Zahlreiche Eidesstattliche Erklärungen aus allen Teilen der Bevölkerung, auch vom Pfarrer und dem neuen Bürgermeister von Bergen, wurden eingereicht. Sie bestätigten, Otto Böhm habe die Tätigkeit für die NSDAP nur unfreiwillig übernommen, er sei nie in Parteiuniform aufgetreten, habe nie eine Parteiversammlung einberufen und keinerlei Parteipropaganda verbreitet. Am 5. März 1946 erfolgte die Klage vor der Spruchkammer des Internierungslagers Moosburg. Das Entlassungsgesuch seiner Frau Anna vom 7. März 1946 war erfolglos.

 

Aquarell aus dem Arbeits- und Internierungslager Moosburg

Im Hintergrund sind die beiden Türme der Pfarrkirche St. Kastalus zu sehen.

(Familienarchiv Böhm)

Neubeginn nach 1948

Mit der Heimkehr von Otto Böhm und nach der notwendigen Regeneration ging es mit der Brauerei, der Landwirtschaft und der Gastronomie wieder stetig aufwärts. Am Sonntag den 27. Juli 1954 konnte das 300-jährige Jubiläum der Brauerei groß gefeiert werden. Dazu gab es das eigens gebraute „Wiltrudis-Bier“, das auch auswärts exklusiv und nur an wenigen Tagen zum Ausschank kam. Den besonderen Trunk gab es in Neuburg bei den Wirten Otto Kreil und Josef Scheuermayer, in Gietlhausen beim Reng, in Bittenbrunn beim Kirchbaur und in Meilenhofen.

Kleinere Umbauten erweiterten die Kapazität. Der 1949 gegrabene Schankkeller zur Frischhaltung des Bieres wurde jetzt für geschlossene Gesellschaften genutzt. Die links vom Eingang liegende Gaststube erhielt 1959 das heutige Aussehen. Der zentrale, quadratische Tisch blieb von der Einrichtung des Jahres 1909 erhalten. 1969 kam im Erd- geschoß ein Bräustüberl dazu. Sieben Fremdenzimmer deckten den immer größer werdenden Bedarf der aufkommenden Industrie in der Region.

Eine echte Lobeshymne auf die Küche bei Böhm war um 1950 in einer Münch- ner Zeitung unter der Überschrift

 

Reisen mit Messer und Gabel:

Verborgen in Bayern – großartige Mahlzeiten zu Niedrigpreisen!

 

zu lesen. Der Ort sei kaum zu finden, die Suche lohne sich aber. Es sei ein Ort, an dem man immer noch glaubt, dass 1,25 Dollar viel Geld ist, wo die Köche wirklich etwas von ihrem Handwerk verstehen und die Kellner der Auffassung sind, dass es ihre Aufgabe sei, den Gast bei guter Laune zu halten. Das Kloster bietet z. B. Rebhühner auf allerlei Art zubereitet für 1,45 Dollar (das ist kein Druckfehler!), und was für Beilagen! Die Begeisterung geht weiter bei der Schilderung des Rehfilets, der frischen Beilagen aus dem Garten und der Knödel auf dem Teller. Ebenso wurde das frische Bier gelobt. Im Norden [von Bayern] findet man eine sehr hübsche bayerische Landschaft, wenn Sie Lust auf einen Sonntagsausflug von München oderAugsburg haben. Im Kloster können Sie dann Mittagspause machen. Mit der Preisangabe in Dollar scheint man sich um 1950 auch auf eine – sicherlich sehr zufriedene – amerikanische Kundschaft eingestellt zu haben. Das Lob ist heute noch so aktuell wie damals – nur nicht mehr die Preisangabe mit 1,50 Dollar.

Speisekarte vom 19. Februar 1955

(Familienarchiv Böhm)

 

Otto Böhm im Fenster

des Obergeschosses und seine Frau Maria in der Tür des frisch renovierten Hauses Ende der 1960er-Jahre

(Familienarchiv Böhm)

 

 

 

Otto Böhm – der zweite Träger dieses Namens

 

 

Seit 1969 fungierte Otto junior bereits als Teilhaber und konnte sich so in die Geschäftsführung einarbeiten. Im Alter von 32 Jahren übernahm er 1974 die Leitung. In dieser Zeit heiratete er Antonie Gutmann, die aus einer Brauersfamilie in Titting stammte und der das Metier damit alles andere als fremd war.

Otto verfügte über eine umfassende Ausbildung: deren Stationen waren die Handelsschule, eine Brauerlehre in Lauterbach bei Wertingen, die Landwirtschaftliche Winterschule und 1964/65 die Hotelfachschule in München gewesen. In der Hotelfachschule hatte er auch seine spätere Frau kennen gelernt. Mit nun zwei Hotelfachleuten im Haus war es nicht verwunderlich, dass sich das Augenmerk von der Brauerei und der Landwirtschaft weg auf das Beherbergungsgewerbe richtete. Dazu musste Platz geschaffen werden; die alte, seit 1966 stillgelegte Braustätte fiel 1976 der Spitzhacke zum Opfer. Der Vertrag zum Abbruch wurde zum Pauschalpreis von 18.000 Mark am 6. April geschlossen. Alles Holz, Eisen und Kupfer verblieben als Wertstoffe beim Anwesen.

 

In der Gastronomie konnte die Familie Böhm an den guten Ruf der früheren Jahre an- knüpfen. Schon in den frühen 1980-er Jahren beteiligte sie sich am Wettbewerb „Bayerische Küche“. Die kritischen Augen der Jury bewerteten die Ausstattung und Einrichtung aller Räume hinsichtlich Sauberkeit und Ordnung und prüften, welche Speisen und Getränke auf der Karte typisch für die Gegend waren. Die Tester achteten dabei sogar darauf, dass diese in heimischer Sprache angeboten wurden. Die Tischkultur bei Geschirr und Gläsern, Eindeckung und natürlich auch die geschmackliche Prüfung der Spezialitäten mussten dem Urteil der Kenner standhalten. War der Gesamteindruck auch noch gepflegt, ansprechend und der Gegend entsprechend, stand der Auszeichnung nichts mehr im Weg.

Weitere Auszeichnungen folgten, so für den Zeitraum 1994 bis 1997 für besondere Verdienste um die Erhaltung und Förderung der bayerischen Wirtshaustradition. Und 1995/96 zertifizierte der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband den Betrieb mit drei Sternen.

Nach zwei Missernten und Ertragseinbrüchen gab Otto Böhm 1992 die Landwirtschaft auf. Alle Felder pachtete ein Landwirt aus der Region. Er ist bis heute Pächter, Spekulations-Pachtpreise machte der Verpächter nicht mit. Auf dem für Brauerei und Landwirtschaft nicht mehr benötigten Areal im Garten hinter dem Haus entstand ein Hoteltrakt mit weiteren 18 Zimmern. Der Betrieb hatte nun nur noch ein Standbein. Die Zeiten der Bierherstellung und der Landwirtschaft waren vorbei. Alle Konzentration lag jetzt auf dem Hotel- und Gastgewerbe.

Mit 60 Jahren legte Otto Böhm im Jahr 2002 die Geschicke des Hauses in die Hände seines gleichnamigen Sohnes. Er und seine Frau Martina bauten auf der bisherigen Tradition auf, erweiterten die Hotellerie und führen den Betrieb hoffnungsvoll in die Zukunft. Der zweite Sohn Georg übernahm in der Oberpfalz eine Brauerei. Die 1966 in Bergen unterbrochene Brautradition wird damit an anderer Stelle fortgesetzt.

Landwirtschaftsminister Dr. Hans Eisenmann überreicht an Antonie und Otto Böhm die Auszeichnung

(Familienarchiv Böhm)

 

 

 

Otto und Martina Böhm